Irrtümer

Nachschlagewerk über das Deutsche Rote Kreuz und die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung
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Allgemeines

Das Deut­sche Rote Kreuz ist eine große, komplexe und bei Berücksichtigung ihrer Vorgänger eine alte Organisation. Das bringt es mit sich, dass sein Aufbau, seine Aufgaben und seine Funktionsweise nicht ganz verstanden werden, besonders bei weniger eingehender Beschäftigung mit ihm. Dieser Artikel korrigiert einige der häufigen Irrtümer.

Fehlerhaftes Rotkreuz-Wissen wird auch von → ChatGPT verbreitet.

Henry Dunant

Dunant als Gründer

Irrtum: Henry Dunant (1828–1910) habe das (Deutsche) Rote Kreuz gegründet.

Vier Jahre nach der Schlacht von Solferino (1859), die er — ein anderer häufiger Irrtum — tatsächlich miterlebt habt, sondern deren katastrophale humanitäre Folgen er einzudämmen half, veröffentlichte Dunant erstmals sein Werk Eine Erinnerung an Solferino (1863). Die Genfer Gemeinnützige Gesellschaft diskutierte am 9. Februar 1863 seine in dem Buch enthaltenen Vorschläge und setzte mit dem Komitee der Fünf einen Ausschuss ein, der sich mit der Umsetzung der Ideen befasste. Daraus wurde sehr schnell das eigenständige Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege, das heutige Inter­nationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Zwei Konferenzen führten 1863 zu Beschlüssen und Wünschen hinsichtlich der Natio­nalen Gesell­schaften und der künftigen Genfer Abkommen und 1864 schließlich zu dem ersten Genfer Abkommen. Ab 1864 wurden Nationale Gesellschaften gegründet, zuerst in Deutschland.

Dunants historische Bedeutung wird innerhalb der Rotkreuz- und Rothalb­mond-Be­we­gung häufig überzeichnet dargestellt. Richtig ist, dass sein Buch Eine Erinnerung an Solferino in kurzer Zeit einen Prozess initiierte, der zur Gründung des IKRK als erste Komponente der Bewegung und zum Beschluss des ersten Genfer Abkommens führte. Richtig ist auch, dass er diesen Prozess durch persönliches Engagement erheblich förderte. Gründer des IKRK waren aber alle fünf Angehörigen des Komitees der Fünf: 1. Louis Appia (1818–1898), 2. Guillaume Henri Dufour (1787–1875), 3. Henry Dunant (1828–1910), 4. Théodore Maunoir (1806–1869), 5. Gustave Moynier (1826–1910). Dunant nahm bei der Gründung und beim Zustandekommen des ersten Genfer Abkommens im Vergleich zu anderen eine Nebenrolle ein. Mit seinem Ausschluss aus dem Komitee am 8. September 1867 trennt sich auch sein Lebensweg von der Bewegung, in die er trotz lebenslanger Verbundenheit und mehrerer Berührungspunkte nie wieder zurückkehrte.

Die Natio­nalen Gesell­schaften wurden durch örtliche Initiativen in den jeweiligen Ländern gegründet. Dunant hatte daran keinen oder fallweise marginalen Anteil. Das Deut­sche Rote Kreuz wurde unter diesem Namen erst 1921 gegründet, lange nach dem Tod Dunants in 1910. Die Rotkreuz-Gesellschaften, die ab 1864 in den deutschen Ländern entstanden waren (→ Landesverein), hatten ein halbes Jahrhundert lang eine patriotische, monarchistische, kriegerische und patriarchalische Grundhaltung (siehe beispielsweise das Lied der Männer vom rothen Kreuz), die nicht im Sinne Dunants gewesen sein dürfte.

Dunant als Arzt

Irrtum: Henry Dunant (1828–1910) sein ein Arzt gewesen.

Es gibt die Annahme, Dunant sei ein Arzt gewesen. Zum Beispiel: Rotes Kreuz ist die auf Anregung des Schweizer Arztes Henri Dunant zurückgehende, in vielen Staaten der Erde bestehende unpolitische, humanitäre Organisation […].1 Er hatte tatsächlich keine medizinische Qualifikation, und er war erst recht kein Arzt. Von 1859 bis 1962 hatte er eine Banklehre bei einem Finanzinstitut gemacht. Möglicherweise ist der Irrtum dadurch entstanden, dass ihm 1903 die Universität Heidelberg den Ehrendoktor für Medizin verlieh.

Rotes Kreuz zu Ehren von Henry Dunant

Irrtum: Das Zeichen des Roten Kreuzes sei zu Ehren von Henry Dunant (1828–1910) gewählt worden.

Ob das Rote Kreuz in 1894 gewählt wurde2, weil es eine Umkehrung des Schweizerkreuzes ist, ist nicht belegt, auch wenn in der Revision der Genfer Abkommen von 1949 diese Legende kodifiziert wird3. Die Diskussion vor 1894 legt eine andere Entwicklung des Zeichens nahe: Eine zunächst rein weiße Fläche wurde später durch das Rote Kreuz zur besseren Erkennbarkeit ergänzt.4

Dagegen sicher falsch ist die Behauptung, das Zeichen sei gewählt worden, um Henry Dunant (1828–1910) zu ehren. Er hatte den Anstoß zur Gründung der Bewegung gegeben, aber bei den Verhandlungen zu den 1894 beschlossenen Genfer Abkommen spielte er nur eine Nebenrolle, und die anderen Mitglieder des Komitees der Fünf hätten diese überhöhte Herausstellung seines Anteils an der Entstehung und Verabschiedung des ersten Genfer Abkommens nicht zugelassen. Die bis heute, besonders innerhalb der Bewegung praktizierte Glorifizierung der Rolle von Dunant entstand aus der Sehnsucht nach Heldentum, die mit der Personifikation des Guten in Gestalt von Dunant erfüllt wurde.

Damals suchte man ein aus Entfernung gut erkennbares, einfach zu zeichendes oder malendes Zeichen, das nicht bereits im Zusammenhang mit einem Kriegsgeschehen verwendet wurde und keiner Nationalflagge glich. Es ist durchaus möglich, dass man dafür die Flagge der Schweiz invertierte, zumal die geometrische und farbliche Verwandtschaft allen Beteiligten aufgefallen sein dürfte. Ebenso ist aber auch denkbar, dass man sich der medizinischen und sozialen Hilfe christlicher Kirchen und Orden bei Kriegen erinnerte und die zu schaffenden Rotkreuz-Organisationen als nicht-konfessionelle aber durch die christliche Tugend der Karitas geleitete Hilfsgesellschaften sah.

Henry Dunants Tochter

Irrtum: Henry Dunant habe eine Tochter gehabt.

Mehreren Quellen zufolge soll Dunant eine Tochter namens Anna gehabt haben und auch verheiratet gewesen sein.5 Tatsächlich war er nie verheiratet, und auch über eine ernsthafte Beziehung zu einer Frau ist nichts bekannt. Darüber hinaus gibt es in den, auch ausführlichen Biografien keine Erwähnung einer Tochter. Es wäre auffällig ignorant, wenn viele Aspekte seines Lebens detailliert beschrieben werden, nicht jedoch ein so wichtiger Umstand wie ein Kind.

Struktur und Aufgaben

Staatliche Einrichtung

Irrtum: Das DRK sei eine staatliche Einrichtung.

Das Deut­sche Rote Kreuz ist die Nationale Gesellschaft in Deutschland und hat daher einige öffentliche Aufgaben per bundesgesetzlicher Regelung (DRK-Gesetz) übertragen bekommen, zum Beispiel die Verbreitungsarbeit für das Humani­täre Völker­recht oder das Amtliche Auskunftsbüro (Suchdienst). Es ist aber eine private Organisation außerhalb des öffentlichen Dienstes und — garantiert durch den Grund­satz der Unabhängigkeit — frei in seinem Handeln. Die besondere Rolle des DRK ist die eines Auxiliars.

Auch die abweichende Rechtsform in Bayern (Körperschaft des öffentlichen Rechts) bedeutet keine Staatlichkeit. Das bereits 1969 auch ausdrücklich gerichtlich festgestellt.6 → Artikel Rechtsform

Rettungsorganisation

Irrtum: Das DRK sei eine Rettungsorganisation.

Insofern eine Gliederung (typischerweise Kreisverband, selten auch noch Ortsverein) am öffentlichen Rettungsdienst beteiligt ist, trifft das zu. Aber schon ab Landesebene aufwärts ist das nicht der Fall. Außerdem ist der Rettungsdienst in erster Linie eine haupt­amtlich wahrgenommene Aufgabe, und das Ehrenamt hat andere Aufgaben. Der vor allem ehrenamtlich getragene Sanitätsdienst und ebenso der Katastrophenschutz retten nur sehr selten, sondern leisten eine — ggf. mit einfachen medizinischen Maßnahmen unterstützte — Betreuung. Neben seiner Rolle als Hilfsorganisation ist das Deut­sche Rote Kreuz in der Wohlfahrtspflege tätig, und dieser Aufgabenbereich ist größer als der der Hilfsorganisation.

Straffe, zentralistische Organisation

Irrtum: Das DRK sei straff und zentralistisch organisiert.

Es ist tatsächlich ein föderaler, gestufter Verband, und jede Gliederung ist weitgehend eigenständig. Bundes- oder landesweit geltende Regelungen werden in Gremien unter Beteiligung der betroffenen Untergliederungen ausgearbeitet und beschlossen. Die zentralen Strukturen, insbesondere die Landes­verbände und das Generalsekretariat sind, gemessen an der Größe ihrer Mitgliedsorganisationen, recht kleine Einrichtungen.

Traditionell gibt es einen Mangel an Compliance im Verband, besondere die Beachtung der zentral gefassten Beschlüsse betreffend. Ein augenfälliges Beispiel ist das einheitlich angestrebte Erscheinungsbild, das mangels Durchsetzungswillen nicht erreichbar ist.

Kein Unterschied zu anderen Organisationen

Irrtum: Das DRK sei eine Hilfsorganisation wie zum Beispiel MHD, JUH oder ASB.

Eigentlich gäbe es gar keine Unterschiede, vermitteln manche Darstellungen, zum Beispiel in den sozialen Medien. Richtig ist, dass die Organisationen teilweise dieselben Aufgaben wahrnehmen und dadurch direkt oder indirekt miteinander konkurrieren. Das sind unter anderem Rettungsdienst, Sanitätswachdienst, Erste-Hilfe-Ausbildung und Katastrophenschutz. Aber alleine das DRK ist die Nationale Gesellschaft in Deutschland, wodurch es einen besonderen rechtlichen Status und spezifische Aufgaben hat sowie an die weltweit geltenden Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung gebunden ist.

Der strategische Fehler vieler Gliederungen des Deut­schen Roten Kreu­zes besteht darin, dass sie die ideellen Grundlagen der Bewegung im haupt­amtlichen Arbeitsalltag oder beim ehren­amtlichen Engagement nicht berücksichtigen, wodurch ihre Angebote zu generischen Dienstleistungen werden, deren Erbringer austauschbar ist. Dadurch entsteht der Eindruck, die Hilfsorganisationen seinen eigentlich alle gleich und nur aus historischen Gründen verschiedene Organisationen.

Wirtschaftliche Situation

Auskömmliche Finanzierung

Irrtum: Die Gliederungen des DRK seien auskömmlich finanziert, im Zweifel durch staatliche Zuschüsse.

Es gibt nur eine sehr begrenzte institutionelle Förderung aus staatlichen Mitteln, und zur Wahrung der Unabhängigkeit gehört auch eine vom Staat und von anderen öffentlichen Stellen unabhängige Finanzierung. Die klassische Mittelbeschaffung durch Fördermitglieder ist jedoch anhaltend rückläufig. Es gibt viele wirtschaftlich gesunde Gliederungen; es gibt aber auch wirtschaftlich instabile Gliederungen, die in Insolvenz zu gehen drohen oder bereits insolvent waren. Pauschal ist es daher nicht richtig, dass das DRK auskömmlich finanziert sei. Man muss immer die jeweilige Gliederung und genau genommen auch jedes Aufgabenfeld für sich betrachten.

Reichtum durch Blutspenden

Irrtum: DRK verdiene viel Geld an den Blutspenden.

Die Blutspender bekommen beim Deut­schen Roten Kreuz keine Kostenerstattung, anders als bei anderen Anbietern, und das Rote Kreuz verkauft die fertigen Blutpräparate an beispielsweise Kliniken, die sie dann bei der Behandlung von schwer kranken oder akut verletzten Menschen einsetzen. Aus Differenz bereichern sich keine Personen oder Organisationen, denn die Blutspendedienste des DRK sind gemeinnützige Gesellschaften. Daher dürfen sie keine unangemessen hohen Gehälter zahlen und keine Gewinne an ihre Gesellschafter ausschütten. Die Erlöse werden zur Finanzierung des Prozesses zur Produktion der Blutprodukte eingesetzt: Werbung, Abnahme, Prüfung, Herstellung, Vertrieb usw. Dazu gehört auch die Betreuung der Blutspender, zum Beispiel durch den Digitalen Spenderservice.

Geschichte

Verstrickungen in staatliches Unrecht

Irrtum: Das DRK sei in das staatlich gegangene Unrecht des Dritten Reichs und der DDR verstrickt.

Zunächst gibt es historisch das DRK nicht, sondern mehrere voneinander zu unterscheidende Organisationen, die Deutsches Rotes Kreuz hießen oder heißen. Das heutige DRK auf Bundesebene, der Bundesverband, ist eine Neugründung aus dem Jahr 1950. Seine Vorgängerorganisationen wurden 1945/46 (→ Drittes Reich) und 1990 (DRK der DDR) aufgelöst. Bei Untergliederungen (insbesondere Ortsvereine und Kreis­verbände) gibt es in den alten Bundesländern hingegen eine historische Kontinuität zwischen 1945 und 1950.

Richtig ist, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung durch die Organisation selbst stark verzögert erfolgte: Für das Dritte Reich erst 2008 (nach sechs Jahrzehnten)7, und für die DDR erst 2019 (nach drei Jahrzehnten)8. Die überwiegende historische Forschungsarbeit geschieht außerhalb und unabhängig von der Organisation9; die für lange Zeit umfassenste Geschichte des DRK erschien 2002.10 Alle Studien belegen große Staatsnähe und entsprechend fragwürdige Verhaltensweisen, jedoch zeigen sie auch, dass das jeweilige DRK nicht direkt in die Verbrechen der betreffenden deutschen Staaten involviert war.

Ein vormals mangelndes historisches Bewusstsein muss sich die Organisation vorhalten lassen, jedoch ist das heutige DRK eine andere Organisation als die früheren DRK-Organisationen. Es hat seine Vergangenheit aufgearbeitet und pflegt inzwischen durch Publikationen und die Rotkreuz-Museen seine eigene Geschichtsschreibung. Vereinzelt gibt es in Gliederungen aufgrund persönlicher Initiativen einzelner Mitglieder hervorragende historische Arbeiten, zum Beispiel im Landesverband Hamburg. Das Archiv des Generalsekretariats ist ebenfalls ein Beitrag zur Bewahrung des historischen Gedächtnisses und zur Aufarbeitung der Geschichte der Organisation.

Wiedervereinigung des DRK der DDR mit dem der BRD

Irrtum: 1991 hätte die Wiedervereinigung des DRK der DDR mit dem DRK der BRD stattgefunden.

Richtig ist, dass zum 1. Januar 1991 die zuvor im DRK der DDR neu gegründeten Landes­verbände als Mitgliedsorganisationen dem Deut­schen Roten Kreuz Westdeutschlands beitraten. Dadurch ging das DRK der DDR operativ im DRK der BRD auf. Formal existierte es jedoch als Deutsches Rotes Kreuz e.V. i.L. weiter und wurde erst am 21. November 2000 abschließend aufgelöst.

Über diese bloße Formalität hinaus besteht der Irrtum im Wieder der Wiedervereinigung, denn es handelte sich nicht um zwei Organisationen, die zuvor voneinander getrennt worden waren und nun wieder zusammengefügt wurden. Nach der zwangsweisen Auflösung aller Strukturen auf nationaler Ebene in 1945 und 1946 waren am 4. Februar 1950 das DRK der BRD und am 23. Oktober 1952 das DRK der DDR als unabhängige Organisationen gegründet worden, die nur derselbe Name verband. Es fällt schwer, das von 1937 bis 1945/46 bestehende DRK oder dessen Vorläufer als direkte Vorgänger der beiden 1950 und 1952 gegründeten Gesellschaften zu sehen, weil sie in anderen Staaten existierten.

Weitere Informationen

Einzelnachweise

  1. Klaus Weber (Hrsg.), Creifelds. Rechtswörterbuch, Artikel Rotes Kreuz, 26. Edition, München 2021.
  2. Convention pour l'amélioration du sort des militaires blessés dans les armées en campagne, Genf 1864, Artikel 7, Satz 3.
  3. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde (I. Genfer Abkommen), Genf 1949, Art. 38, Satz 1: Zu Ehren der Schweiz wird das durch Umstellung der eidgenössischen Farben gebildete Wappenzeichen des roten Kreuzes auf weissem Grund als Schutz- und Erkennungszeichen des Sanitätsdienstes der Armeen beibehalten.
  4. Sebastian Zelada, A controversial emblem, in: CROSS-files, 21. April 2021.
  5. Zum Beispiel: Geni.com, Anna Dunant, 11. Februar 2018. Abgerufen am 26. Juli 2021.
  6. Siehe Artikel Bayerisches Oberstes Landesgericht – 2 Z 96/68 – 25. März 1969.
  7. Stephanie Merkenich, Birgitt Morgenbrod, Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur 1933-1945, Paderborn 2008.
  8. Andrea Brinckmann, Das Rote Kreuz in der DDR. Humanitäre Grundsätze und staatliche Lenkung – die Geschichte der Hilfsorganisation von 1952 bis 1990, Berlin 2019.
  9. Siehe Quellen.
  10. Dieter Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz. Eine Geschichte 1864–1990, Paderborn 2002 (ISBN 978-3506772602).