Compliance

Nachschlagewerk über das Deutsche Rote Kreuz und die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung

Allgemeines

Im betriebswirtschaftlichen Kontext wird als Compliance ein mit Regeln übereinstimmendes Verhalten einer Organisation bezeichnet. Organisationen wie das Deut­sche Rote Kreuz unterliegen gesetzlichen Bestimmungen, nicht-gesetzlichen regulatorischen Standards und selbstgewählten Regeln. Aufgrund der Vielzahl interner und externer Regeln und der rechtlichen, finanziellen und das Ansehen betreffenden Konsequenzen stellt ihre Einhaltung eine wichtige Herausforderung dar. Darüber hinaus entstehen für eine auf ideellen Grundsätzen und Zielen gebaute Organisation ethische Fragestellungen, wenn Regeln missachtet werden.

Regeln für das Deutsche Rote Kreuz

Die Regeln, nach denen sich das DRK richten muss, lassen sich in folgende Klassen unterteilen:

  1. Externe, nicht wählbare Regeln, z.B. staatliche und kommunale Gesetze und Verordnungen, wie ganz spezifisch das DRK-Gesetz oder das Suchdienstedatenschutzgesetz, oder auch technische Regeln zum Arbeitsschutz,
  2. externe Regelwerke, denen das DRK freiwillig beigetreten ist, z.B. die Charta der Vielfalt,
  3. interne Regeln, die dem DRK als Rotkreuz-Organisation auferlegt sind, z.B. die Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung,
  4. eigene Regeln, die sich das DRK selbst gegeben hat, z.B. die Satzungen der Vereine, die Ordnungen der Gemeinschaften, die DRK-Standards zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Menschen mit Behinderungen, der Acht-Punkte-Plan und die Transparenzstandards.

Eine weitere Klasse sind fehlende Regeln. Es gibt Bereiche, die geregelt sein sollten. Das Unterlassen dessen ist eine Compliance-Schwäche. Typische Beispiele dafür sind Dienstanweisungen zum Datenschutz und zum Rauchen in der Öffentlichkeit. Die Änderung des gesellschaftlichen Konsenses zu diesen Themen kommt zeitverzögert in Organisationen an, und insbesondere Hilfsorganisationen haben traditionell Anpassungsschwierigkeiten.

Beispiele für Non-Compliance

Erscheinungsbild

Die verbindlichen Regeln des Bundesverbands zum Erscheinungsbild werden von den Untergliederungen traditionell nicht umgesetzt. Die Häufigkeit der Abweichungen nimmt zu, je weiter man sich in der Verbandstruktur nach unten bewegt. Auf der Ebene der Kreis­verbände, der Ortsvereine und örtlichen Rotkreuz-Gemeinschaften sind die Abweichungen am größten.

Insbesondere bei der Auswahl von Einsatzbekleidung und der Beklebung von Einsatzfahrzeugen werden die Vorgaben des Bundesverbands und des zuständigen Landesverbands häufig vorsätzlich missachtet. Bekleidung und Fahrzeuge spielen eine große Rolle für die Selbstdarstellung in den Einsatzdiensten (z.B. Lokalpatriotismus) und für die Selbstverwirklichung der örtlichen Leitungskräfte.

Mit einem individuell gestalteten Fahrzeug, mitunter sogar anderer Grundfarbe wie Schwefelgelb statt Weiß, kann man seinen Gestaltungswillen besser beweisen als durch die bloße Umsetzung eines Musters. Außerdem gelten Kraftfahrzeuge in einigen sozialen Gruppen als Statussymbole. Letzteres gilt auch für Bekleidung. In den Bereitschaften kann man hier seit Mitte der 1990er Jahre ein fortwährendes Ringen um die Farbe der Hosen beobachten. Die Dienstbekleidungsvorschrift schreibt seit vielen Jahren die Farbe Schiefergrau vor, aber davon wird bewusst abgewichen, weil insbesondere Rot mehr auffällt und damit das Gefühl, als 'Retter' wahrgenommen zu werden, stärkt.

Helfergrundausbildung

Die Helfergrundausbildung hat sich weder in ihrer aktuellen noch in einer früheren Ausführung in der Organisation breit durchgesetzt. Eigentlich sollen alle Angehörigen der Bereitschaften neben der Basisausbildung (Erste-Hilfe-Kurs, Rotkreuz-Einführungsseminar) auch an den vier Modulen der Helfergrundausbildung teilnehmen, um praktische Grundkenntnisse zur Unterstützung aller Fachdienste zu haben und damit universal einsetzbar zu sein.

Das widerspricht jedoch dem Selbstverständnis vieler Bereitschaften auf Orts- und Kreisebene, die sich in erster Linie als Dienstleister im Sanitätswachdienst sehen und nicht-medizinische Aufgaben wie Betreuungsdienst und Suchdienst nicht wahrnehmen oder marginalisieren. Da die meisten Module der Helfergrundausbildung formal und inhaltlich keine Voraussetzung für die Sanitätsausbildung sind, werden sie nicht besucht und seltener angeboten. Der Fehler der örtlichen Bereitschaften liegt darin, dass sie die Strategie der Bereitschaften auf Bundesebene hinsichtlich Aufgabenfeldern nicht umsetzen.

Daten aus dem Melderegister

Der DRK-Ortsverein in Munderkingen wollte in 2018 ältere Menschen ab 70 Jahren mit einem persönlichen Schreiben zu einem seit 1960 veranstalteten, vorweihnachtlichem Seniorennachmittag mit 300 bis 400 Teilnehmern einladen und dazu, wie schon früher praktiziert, die Adressen aus dem Melderegister beziehen. Diese Daten wurde jedoch von behördlicher Seite nicht zur Verfügung gestellt.1 Der Ortsverein lud daher öffentlich ein.2

Anlass zur Überprüfung der gewohnten Datenübermittlung war die Änderung des europäischen Datenschutzrechts (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO), tatsächlich war diese Auskunft aus dem Melderegister schon zuvor nicht zulässig gewesen.3 Der Ortsverein bezog und verarbeitete also über viele Jahre personenbezogene Daten, ohne dazu berechtigt zu sein. Er verließ sich auf die übermittelnde, öffentliche Stelle.

Abweichung von den Grundsätzen

Die Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sind Wegweiser und Leitplanken für die Rotkreuz-Arbeit. Sie werden jedoch häufig nur emotional und an der einfach zugänglichen, sprachlichen Oberfläche mit subjektiver Verfärbung interpretiert (in der Art: das finde ich unmenschlich, also ist der Grundsatz Menschlichkeit verletzt worden). Ein anderer Fehler besteht darin, sie als bedeutungslose werbliche Phrasen zu betrachten, die keine praktische Relevanz haben. Dadurch kommt es zu Abweichungen vom Weg, den die Grundsätze vorzeichnen. Fallbeispiele dazu finden sich in den Artikeln der sieben Grundsätze.

Misshandlungen in Verschickungsheimen

In den heute so bezeichneten Verschickungsheimen, die auch von Gliederungen des Deut­schen Roten Kreu­zes betrieben wurden, wurden in den 1950er- bis 1980er-Jahren offenbar Kinder systematisch unmenschlich behandelt. In einer DRK-Einrichtung in Bad Dürrheim wurden sogar Medikamentenversuche an Kindern vorgenommen.
Verschickungsheim

Beispiele für unterlassene Regelungen

Arbeitsschutz

Es gibt Bereiche, in denen es gesetzlich vorgeschrieben ist, eigene Regelungen vorzunehmen. Das betrifft zum Beispiel die Arbeitsschutzorganisation: Ein Arbeitgeber muss die betreffenden Vorschriften auf seine betriebliche Situation anwenden und durch Dienstanweisungen oder -vereinbarungen sowie Kontrollen dafür sorgen, dass sie umgesetzt werden.
Arbeitsschutzhandbuch

Prävention sexualisierter Gewalt

Schutzkonzepte bzgl. sexualisierter Gewalt, mindestens für Kinder, Jugendliche und Behinderte, die die vom Bundesverband in 2012 definierten Mindeststandards erfüllen, müssen alle Gliederungen des Deut­schen Roten Kreu­zes implementieren.
DRK-Standards zum Schutz vor sexualisierter Gewalt

Rauchen

Eine häufige Regelungslücke im Ehrenamt des Deut­schen Roten Kreu­zes ist das Rauchen von Zigaretten, anderen Tabakerzeugnissen und das Dampfen (Vaping) nikotinhaltiger Substanzen. Dem Erscheinungsbild einer Gesundheitsorganisation ist der öffentliche Konsum von Drogen durch seine als solche erkennbaren Mitglieder und Mitarbeiter abträglich. Dennoch gibt es keine Aussagen des Bundesverbands und selten Regelungen auf unteren Verbandstufen. Ein weiterer Aspekt ist der Nichtraucherschutz.

Hopping

Die Organisation hat bisher keine Antworten auf Phänomene wie das Hopping gefunden. Es gibt auch keine Untersuchungen und Bewertungen dazu. Eine Laissez-faire-Haltung ist ein Compliance-Problem.

Beispiele für Verstöße gegen Gesetze

Falscher Arzt in Hagen

Ein 32-jähriger Mann wirkte seit 2019 ehrenamtlich in einer DRK-Gliederung als Arzt mit, ohne tatsächlich Arzt zu sein. Der bereits einschlägig vorverurteilte Hochstapler und Betrüger gab sich als Facharzt für Psychiatrie und als Notarzt aus. Er wurde 2021 entlarvt, seitens des DRK entlassen und verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt koordinierte er im Namen des DRK das Impfzentrum in Hagen.4 Abgesehen von den strafbaren Handlungen der Person gibt es auch Fehler in der Organisation, denn sie hat den Lebenslauf und vor allem die Approbation des vermeintliches Arztes nicht geprüft. Offenbar wurde auch keine Einsicht in sein polizeiliches Führungszeugnis genommen. Darüber hinaus hätte auffallen können, dass er bereits 2015 erfolglos für den Landesverband Westfalen-Lippe tätig war.
Bundesgerichtshof – 4 StR 225/22 – 1. Juni 2023 (Urteil)

Betrug und Untreue in Kita in Seesen

Von 2014 bis 2019 hatte die Leiterin einer Kindertagesstätte Münchehof in Seesen (Niedersachsen) hohe Geldsummen zur Finanzierung ihres Lebenswandels veruntreut. Das gelang ihr durch die Fälschung von Rechnungen.5 Sie wurde in erster Instanz zu einer Haftstrafe von fast drei Jahren verurteilt.6 Träger der betreffenden Einrichtung war ein Ortsverein des Deut­schen Roten Kreu­zes, später scheint der Kreisverband Goslar die Trägerschaft übernommen zu haben.

Rassismus in Frankfurt

Gegen sechs haupt­amtlich Beschäftigte des DRK-Kreisverbands wurde in Frankfurt am Main in 2021 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt. Sie sollen sich darüber hinaus in einer Chat-Gruppe rassistisch und sogar antisemitisch geäußert haben.7

Bestechung, Untreue und Betrug beim Blutspendedienst in Bayern

In seiner mehr als zwanzigjährigen Amtszeit (1973–1995) als Landesgeschäftsführer des Baye­ri­schen Roten Kreuzes hatte sich Heinrich Hiedl (1932–2017) bestechen lassen und sich darüber der Untreue schuldig gemacht. Daher verurteilte ihn am 18. April 2000 das Landgericht München zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Zusammen mit ihm wurde auch der frühere Geschäftsführer des Blutspendedienstes des BRK Adolf Vogt (1934–2018) verurteilt, der sich darüber hinaus des Betrugs schuldig gemacht hatte. Der Schaden für das BRK wurde mit 4,5 Millionen D-Mark beziffert. Mit dem Scheitern der Revision beim Bundesgerichtshof am 15. März 2001 wurden die Urteile rechtskräftig.

Datenpanne beim Blutspendedienst in Bayern

Durch eine Fehlkonfiguration übertrug die Website des Blutspendedienstes des BRK bis zur Entdeckung des Umstands in 2019 unrechtmäßig Gesundheitsdaten an Facebook. Der Spende-Check, mit dem potenzielle Blutspender online ihre Eignung prüfen können, beinhaltete eine Software-Komponente von Facebook.8 Die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten (Datenpanne) wurde 2021 seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde bestätigt, jedoch der regionale Blutspendedienst aufgrund seiner Meldung des Vorfalls nicht sanktioniert.9

Weitere Informationen

Websites

Enzyklopädie

Einzelnachweise

  1. Eileen Kircheis, Datenschutz macht Probleme beim Seniorennachmittag, in: Schwäbische Zeitung, 23. November 2018.
  2. Jana Zahner, Recht: DSGVO sorgt bei Gemeinden und Vereinen für Verunsicherung, in: Südwest Presse, 6. Dezember 2018.
  3. Tobias Keber, Mythen der Datenschutzgrundverordnung – Erlesenes aus (knapp) 300 Tagen DS-GVO, in: RDV – Recht der Datenverarbeitung, 2/2019, Frechen 2019.
  4. Ruhr Nachrichten, Falscher Arzt in Hagen festgenommen - Hochstapler sollte Impfzentrum leiten, 19. Januar 2021.
  5. NDR.de, 370.000 Euro abgezweigt - Ex-Kita-Leiterin gesteht Vorwürfe, 18. Februar 2021.
  6. NDR.de, 400.000 Euro veruntreut: Kita-Leiterin muss ins Gefängnis, 17. März 2021.
  7. BILD.de, Rassismus in Chat-Gruppe. Ermittlungen gegen Mitarbeiter vom Roten Kreuz, 4. Juni 2021.
  8. Matthias Eberl, Blutspendedienst übermittelte heikle Daten an Facebook, in: Süddeutsche Zeitung, 27. August 2019.
  9. Matthias Eberl, Datenpanne bei Blutspendedienst bestätigt, in: Süddeutsche Zeitung, 31. Mai 2021.