Interessenkonflikt
Allgemeines
Das Deutsche Rote Kreuz hat die Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung und weitere Ziele, Ideale und Werte zu beachten, die es sich selbst gegeben hat oder gesellschaftlich von ihm erwartet werden. Hauptamtlich Beschäftigte, ehrenamtliche Mitglieder und insbesondere Organmitglieder (z.B. Vorstände) können durch Interessenkonflikte zu Handlungen verleitet werden, die diesen Grundregeln widersprechen und auch darüber hinaus auch der Organisation erheblichen Schaden zufügen können, beispielsweise durch Rechtsverstöße und Reputationsverlust. Im Rahmen von Compliance muss daher Interessenkonflikten eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Trennung von Aufsicht und Exekutive
Strukturelle Reduktion von Interessenkonflikten
Unter anderen durch die Strategie 2010plus wurde im gesamten Deutschen Roten Kreuz eine größere Trennung der operativen Geschäftsführung (Exekutive) einer Gliederung und ihrer Aufsicht implementiert. Im Idealfall handelt es sich um zwei getrennte Organe, und im DRK ist das das hauptamtliche Vorstandsmodell: Der Vorstand eines Vereins (zum Beispiel eines Kreisverbands oder Landesverbands) ist von hauptamtlich Beschäftigten besetzt, die von einem ehrenamtlichen Gremium, dem Präsidium, beaufsichtigt werden. Das Präsidium bestellt den Vorstand, trifft Grundsatzentscheidungen als Richtlinien für den Vorstand, prüft die Tätigkeit des Vorstands und behält sich bedeutende Einzelentscheidungen (zum Beispiel hohe Investitionen) vor. Damit das Präsidium die Aufsicht uneingeschränkt ausüben kann, müssen ihm Informationsrechte einschließlich der fallweisen Beauftragung eigener externer Prüfer und Gutachter zugestanden werden, und es muss hinreichend unabhängig vom Vorstand und Verein sein.
Beim gemischten Vorstandsmodell gibt es nicht zwei konsequent getrennte Organe, sondern einen Vereinsvorstand, der aus drei Gruppen besteht, deren Beziehung untereinander in der Satzung geregelt ist. Das sind 1. die hauptamtlichen Vorstandsmitglieder, zum Beispiel der Kreisgeschäftsführer, 2. die in das Vereinsregister eingetragenen, geschäftsführenden Vorstandsmitglieder (BGB-Vorstand, dazu sollte auch Nr. 1 gehören), und 3. die Angehörigen des erweiterten Vorstands, die nicht im Register eingetragen werden. Während Nr. 1 hauptamtlich ist, müssen Nr. 2 (soweit nicht auch Nr. 1) und Nr. 3 ehrenamtlich sein, damit sie ihre Aufsichtsfunktion unabhängig ausüben können. Nr. 2 und 3 beaufsichtigen Nr. 1, und Nr. 3 beaufsichtigt Nr. 2.
Beim 'klassischen' Vorstandsmodell, das die Strategie 2010plus weiter zuließ, ist der gesamte Vorstand ehrenamtlich. Eine hauptamtliche Geschäftsführung wird angestellt, jedoch nicht Teil des Vorstands (wie beim gemischten Modell) oder ist gar der Vorstand (wie beim hauptamtlichen Modell). Durch Satzung und geübte Praxis muss die Aufsicht des Vorstands über die Geschäftsführung sichergestellt werden. Damit eine Geschäftsführung nicht nur aufgrund erteilter Vollmachten handlungsfähig ist und mehr Verantwortung trägt, soll sie im DRK als Besonderer Vertreter (§ 30 BGB) bestellt werden, der auch in das Vereinsregister eingetragen wird.
Wenn eine Gliederung kein Verein, sondern in aller Regel eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist, dann ist auch hier eine Aufsicht sicherzustellen, die frei von Interessenkonflikten ist. Das wird durch eine geeignete Besetzung der Gesellschafterversammlung und bei größeren Gesellschaften durch die Schaffung eines Aufsichtsrats erreicht.
Mögliche Interessenkonflikte in der Aufsicht
In einem Aufsichtsorgan — hier am Beispiel eines Präsidiums einer Gliederung, die das hauptamtliche oder das gemischte Vorstandsmodell gewählt hat — können aus verschiedenen Gründen Interessenkonflikte entstehen:
- Unauflösbar sind die Interessenkonflikte von Angehörigen des Präsidiums, die zugleich in der beaufsichtigten Gliederung oder in einer von ihr kontrollierten Gliederung (zum Beispiel Tochtergesellschaft) haupt- oder nebenamtlich beschäftigt sind. Sie haben Einfluss auf den Wirtschafts- und Stellenplan, der ihre eigene Stelle vorsieht. Sie entscheiden mit über die Besetzung der hauptamtlichen Geschäftsführung, die über ihre Anstellung und damit über den Geldfluss an sie entscheidet. Selbst wenn ihr Stimmrecht bei diesen offensichtlichen Interessenkonflikten ruhen müsste, was in den Mustersatzungen des DRK nicht vorgesehen ist, wäre ihre Unabhängigkeit auch bei allen anderen Entscheidungen des Präsidiums kompromittiert, weil ihr persönliches, wirtschaftliches Interesse mit der Gunst der Geschäftsführung verbunden ist. Der Umfang der Beschäftigung spielt daher keine entscheidende Rolle: Auch eine geringfügige, nebenberufliche Tätigkeit für die Gliederung ist ein wirtschaftlicher Vorteil, und sie können die so begünstigte Person direkt oder mittelbar beeinflussen, und die Bedeutung des Gehalts für ihre private Lebensführung kann beträchtlich sein, ohne dass das der Verein nachvollziehen kann, weil sie sich zum Beispiel sonst ihre Wohnung oder ihren Urlaub nicht leisten könnten. Da die Bedeutung der Einnahmen für die private Lebensführung nicht nachvollziehbar ist, können auch das auch höhere Verbandstufen nicht prüfen, und ihre Ausnahmegenehmigungen können daher nicht sachlich, sondern nur formal (wir dürfen das entscheiden, also ist es richtig), durch Spekulation (er wird wohl schon genug im Hauptberuf verdienen, dass er nicht auf die Nebenbeschäftigung angewiesen ist) oder Vertrauen (wir kennen sie doch, und sie will nur das Beste für das Rote Kreuz) begründet sein. Die Befristung eines Beschäftigungsverhältnisses löst einen Interessenkonflikt nicht, denn für den Zeitraum der Beschäftigung besteht er offensichtlich, und im Anschluss gibt die Aussicht auf weitere Beschäftigung dieser Art, wodurch auch ohne gegenwärtige Zahlungen das Verhalten der Aufsichtsperson beeinflusst wird.
- Ebenfalls kritisch sind Interessenkonflikte, die dadurch entstehen, dass ein Präsidiumsmitglied direkt oder indirekt vom Einkauf von Waren oder Leistungen des Vereins profitiert, weil es zum Beispiel hauptberuflich auf der Lieferantenseite steht oder mit einem Unternehmen verbunden ist, dass eine Dienstleistung erbringt. Die unten im Abschnitt Einkauf, Beschaffung, Beauftragung unterschiedenen Schweregrade lassen sich letztlich auch auf Präsidiumsmitglieder anwenden, weil sie zumindest mittelbar an Entscheidungen beteiligt sind, im Zweifel durch Schaffung von Rahmenbedingungen wie den verfügbaren Haushalt. Anhand des Einzelfalls muss entschieden werden, ob es genügt, wenn sie sich bei bestimmten Abstimmungen enthalten, über Verhandlungen nicht informiert werden dürfen oder anderweitige kompensatorische Maßnahmen getroffen werden. Maßgeblich dafür ist eine ausreichende Transparenz, indem relevante berufliche und private Verhältnisse, die wahrscheinlich oder tatsächlich zu Interessenskonflikten führen, dem gesamten Präsidium und dessen Aufsichtsorgan, das heißt der Mitglieder- oder Delegiertenversammlung, regelmäßig offengelegt werden. Weiterhin bedarf es einer unabhängigen Prüfung dieser Geschäfte, zum Beispiel in Form einer externen Revision oder eine ernsthafte, nachvollziehbare Überprüfung durch die nächsthöhere Verbandstufe.
- Weiterhin muss beachtet werden, dass die Unabhängigkeit einer Person mit Aufsichtsfunktion nicht durch eine Bevorteilung durch Leistungen des Vereins (zum Beispiel günstigere Konditionen im Hausnotruf, bevorzugte medizinische Versorgung bei Notfällen, Umgehung der Priorisierung bei Impfungen bei Impfstoffknappheit), durch geldwerte Vorteile (zum Beispiel unangemessen luxuriöse Verköstigung bei Gremiensitzungen, teure Geschenke an Geburtstagen, private Nutzung von Dienstfahrzeugen, Vermietung einer Wohnung oder eines Gewerbeobjekts unterhalb des Marktpreises) oder durch ideelle Geschenke (zum Beispiel nicht hinreichend gerechtfertigte Auszeichnungen, Berufungen zu weiteren Ämtern und Funktionen) kompromittiert wird.
- Einen Interessenkonflikt haben stets die geborenen Mitglieder eines Präsidiums. Dieser Konflikt ist jedoch nicht personen-, sondern funktionsbezogen. Die betroffenen Funktionsträger haben ihr Aufgabenfeld im Präsidium zu vertreten, zugleich jedoch auch die Interessen des gesamten Vereins, seiner eventuellen Untergliederungen (zum Beispiel der Ortsvereine oder Tochtergesellschaften eines Kreisverbands) und des gesamten Verbands berücksichtigen. Bei einzelnen Sachfragen kann eine Abwägung zwischen den Zielen des eigenen Aufgabenfelds und denen anderer Aufgabenfelder vorzunehmen. Bei dieser Abwägung sollten persönliche Interessen (zum Beispiel Machterhalt, Statusgewinn) eine untergeordnete Rolle spielen, sonst entsteht auch dadurch ein relevanter Interessenkonflikt.
Weitere Interessenkonflikte können auch bei den anderen Aufsichtsfunktionen im Verband auftreten. In einem gewissen Umgang, den die Satzungen und ggf. weitere Regelungen beschreiben, hat jede Gliederung einer Verbandstufe die ihr direkt nachgeordneten Gliederungen zu kontrollieren. Wenn eine Person mehrere Ämter auf verschiedenen Verbandstufe innehat, darunter eine Aufsichtsfunktion, dann kann dadurch die Fähigkeit zur Ausübung der Aufsicht eingeschränkt sein.
Einkauf, Beschaffung, Beauftragung
Im Einkauf einer Gliederung, dass heißt wenn sie Waren beschafft oder Dienstleistungen beauftragt, kann es Interessenkonflikte geben, die sich in folgende Schweregrade einteilen lassen:
- Gering: Die Person, die an der Entscheidung beteiligt ist, zum Beispiel auch durch engere Auswahl der möglichen Lieferanten bzw. Dienstleister (Shortlist), hat keine direkten Vorteile aus einer Entscheidung. Aber sie erhält zum Beispiel Bonuspunkte oder andere Nachlässe für spätere private Einkäufe bei demselben Unternehmen, oder sie weiß, dass sie mit anderen Vorteilen dort rechnen kann. Andere Vorteile können Einladungen zu Veranstaltungen und Geschäftsessen sein oder auch die Aussicht auf eine künftige Tätigkeit für das betreffende Unternehmen.
- Mittel: Eine in der Beschaffung oder Beauftragung involvierte Person ist mit einem Lieferanten oder Dienstleister auf irgendeine Weise verbunden, zum Beispiel durch Verwandtschaft und engere Freundschaft. Auch hier können sich indirekte Vorteile für die Person ergeben, zum Beispiel durch Partizipation an der vom Ehepartner erzielten Marge. Im Unterschied zum geringen Schweregrad ist der Vorteil offensichtlicher und gegebenenfalls nicht vermeidbar.
- Hoch: Die Person hat einen direkten Vorteil von dem Geschäft. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ihr der Lieferant gehört oder sie eine seiner Gesellschafterinnen ist, oder wenn sie Partnerin einer Personengesellschaft ist, die eine Dienstleistung erbringt. Ebenfalls ein direkter Vorteil wäre eine Rückvergütung (Kickback), die an die Person geht.
Wenn die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten ist, weil es sich um Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr handelt, dann liegt nicht nur ein Interessenkonflikt vor, sondern Wirtschaftskorruption.
Geschenke, Vergünstigungen, Zuwendungen
Das Verhalten hauptamtlicher Beschäftigter und ehrenamtlicher Mitglieder der Organisation kann mit gewährten Vorteilen in Richtungen beeinflusst werden, die ihren Zielen und Idealen zuwiderlaufen. Bei der Bewertung eines Einzelfalls und der Formulierung von Regeln muss zunächst die Herkunft eines Vorteils betrachtet werden:
- Von außen. Wenn eine Person oder Organisation außerhalb des DRK einer Person im DRK zum Beispiel ein Geschenk macht, dann stellt sich die Frage, ob damit beim Empfänger des Geschenks ein Einfluss zugunsten des Schenkenden ausgeübt wird, damit sich der Beschenkte sich bei einer Entscheidung wie einer Anstellung, Beschaffung oder eines Vertragsabschlusses zu dessen Gunsten einsetzt. Der Interessenkonflikt besteht darin, dass die beschenkte Person einerseits als deren Angehörige im Interesse der Organisation handeln soll, andererseits durch das Geschenk einen persönlichen Vorteil hat, an dem es ebenfalls interessiert ist. Darüber hinaus ist hier auch an Korruption zu denken. Ein klassisches Instrument zur Vorbeugung ist ein generelles Verbot zur Annahme von Geschenken, die einen nur geringen Wert übersteigen.
- Von innen. Auch bei einer Zuwendung von der Organisation an einen Beschäftigten oder ein Mitglied sind mehrere Aspekte zu prüfen. Neben Interessenkonflikten durch zum Beispiel die Beeinflussung einer Aufsichtsperson durch die Exekutive muss darauf geachtet werden, dass dadurch die Gemeinnützigkeit nicht gefährdet wird, keine Steuern und Sozialabgaben vermieden werden, und das Ansehen der Organisation in der Öffentlichkeit nicht geschädigt wird. Ein Beispiel für die letztere Folge ist die Bereicherung an Sachspenden, die bei Recherchen für die Fernsehsendung Team Wallraff bei einer DRK-Kleiderkammer in Berlin aufdeckt und am 19. Oktober 2020 veröffentlicht wurden.1 Geschätzt zwei Millionen Menschen soll diese Enthüllung erreicht haben.2 Auch hier ist es wichtig, als präventive Maßnahme klare Regeln aufzustellen, zu kommunizieren und durchzusetzen.
Bei der Bewertung eines Falles sind neben der Herkunft auch der Empfänger zu betrachten und welche Absichten bei diesem Empfänger mutmaßlich verfolgt werden. Weiterhin spielen die Art und die Größe des Vorteils eine erhebliche Rolle, um zu entscheiden, ob es sich zum Beispiel um eine Anerkennung handelt, bei der symbolische Charakter im Vordergrund steht, oder ob ein Interessenkonflikt entsteht.
Weitere Informationen
- Artikel Compliance
- Artikel Treue
- Artikel Antikorruptionsrichtlinie
- Artikel polizeinahe Organisation
Einzelnachweise
- ↑ RTL.de, Spenden ausschließlich für Bedürftige? Rotes-Kreuz-Kleiderkammer in Berlin: Mitarbeiter bedienen sich zuerst, 19. Oktober 2020.
- ↑ Wunschliste.de, Quoten: Neue "Team Wallraff"-Reportage mit Tiefstwerten, "Die Simpsons" im Aufwind, 20. Oktober 2020.