Treue
Allgemeines
Den Grundsatz der Treue gibt es unter den Grundsätzen der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung nicht. Würde es eine Revision der Grundsätze geben, womit nicht zu rechnen nicht, dann wäre er eine zu diskutierende Ergänzung. Er hat zwei Stoßrichtungen: 1. Auf der Metaebene fordert er, dass die Grundsätze auch tatsächlich beachtet und gelebt werden. 2. Auf der operativen Ebene adressiert er problematische Verhaltensweisen der Organisation und der darin hauptamtlich oder ehrenamtlich Mitwirkenden, die die Ziele der Organisation konterkarieren, ohne jedoch zwingend einen der sieben geltenden Grundsätze zu verletzen.
Beachtung der Grundsätze
Im Rotkreuz-Alltag können die Grundsätze gegenüber betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und situativ als notwendig empfundenen Umständen (weil ich jetzt gerade helfen muss, kann ich gar nicht anders, oder auch: wenn wir uns da nicht an die Rahmenbedingungen anpassen und die Grundsätze beiseite lassen, dann können wir das gar nicht machen) in den Hintergrund geraten. Die Gefahr, dass solch eine Entwicklung eintritt, steigt, je größer eine Nationale Gesellschaft oder ihre Gliederungen werden.
Diese Entwicklung lässt sich am Beispiel des Deutschen Roten Kreuzes, dessen hauptamtliche Arbeitsbereiche seit Jahrzehnten kontinuierlich wachsen, beobachten. Den neu entstehenden oder wachsenden geschäftlichen Einheiten fehlt oft die ideelle Fundierung der Organisation. Dasselbe sieht man auch häufig im Ehrenamt, wo zum Beispiel eine Indifferenz zu den anderen etablierten Hilfsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und neuen sozialen Unternehmen entstanden ist. Gliederungen des DRK neigen zu einem Opportunismus gegenüber dem Staat (Bund und Länder) und vor allem seinen Gebietskörperschaften, weil ein Bestehen auf den Grundsätzen mit einem Verzicht auf damit konfligierende Aufgaben verbunden wäre. Darüber hinaus können dabei Interessenkonflikte (siehe unten) eine Rolle spielen.
Es sollte jedoch den Grundsätze gefolgt werden, und darüber hinaus sollten auch die wahrgenommenen Aufgaben an den Grundsätzen und daraus abgeleiteten Zielen und Maximen ausgerichtet werden, damit sie einen spezifischen Rotkreuz-Charakter haben. Generisch gestaltete Aufgaben sind ein strategischer Fehler, weil die sie durchführende Organisation austauschbar ist. Wenn es gleichgültig worden ist, wer die Aufgaben des Roten Kreuzes wahrnimmt, dann wird das Rote Kreuz als Organisation verzichtbar und die humanitären Ideale der Grundsätze gehen verloren.
Compliance
Eine Gliederung des Roten Kreuzes muss sich eine innere Ordnung geben, die ihren Zielen dient und den jeweiligen gesellschaftlichen Ansprüchen an eine gemeinnützige Organisation genügt. In Deutschland sind das unter anderem ein demokratischer Aufbau, Transparenz der finanziellen Situation und Verhinderung von Missbrauch aller Art, zum Beispiel ungerechtfertigte persönliche Vorteile. Letzteres kann nicht nur nachhaltig der inneren Moral einer Organisation schaden, sondern darüber hinaus zu öffentlichen Skandalen führen, die das Vertrauen in die Organisation beschädigen.
Eine zweite, zunächst verblüffende Stoßrichtung vom Compliance ist die Beachtung von Regeln, die aus der Außenwelt der Organisation stammen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um gesetzliche Bestimmungen, Förderrichtlinien und vertragliche Vereinbarungen. Es überrascht, dass das ein Thema ist, aber Unkenntnis, Bequemlichkeit und Überheblichkeit führen dazu, dass auch Gliederungen des Deutschen Roten Kreuzes gegen externe Regularien verstoßen. Das kann bedeutenden Schaden für die Gliederung (zum Beispiel Verlust der Gemeinnützigkeit) und für die Gesamtorganisation (insbesondere Reputationsschaden) nach sich ziehen.
Zur Compliance gehört immer auch interne Kontrollfunktionen, zum Beispiel strukturell durch eine Trennung von Aufsicht und Exekutive, um grobe Interessenkonflikte systematisch zu verhindern. Darüber hinaus braucht es auch spezialisierter Kontrollfunktionen, die auch als externe Dienstleistung eingekauft werden können, zum Beispiel zum Arbeitsschutz und zum Datenschutz.
Umgang mit Interessenkonflikten
Es spezielles Compliance-Thema ist der Umgang mit Interessenkonflikten. Eine Nationale Gesellschaft ist der Auxiliar der Regierung ihres Staates für humanitäre Aufgaben. Wieweit eine Regierung ihre Nationale Gesellschaft in dieser Rolle nutzt, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das Deutsche Rote Kreuz nimmt zum Beispiel seine völkerrechtliche und bundesgesetzliche Kernaufgabe, die Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, praktisch nicht wahr, weil der Staat es nicht einfordert.1 Es übernimmt jedoch, insbesondere auf Ebene der Kreisverbände, subsidiär staatliche Aufgaben. Dadurch ergibt sich naturgemäß eine Nähe zum öffentlichen Dienst, der sich beispielsweise darin zeigt, dass Politiker und andere öffentliche Funktionsträger entscheidende Positionen in Vorständen und Präsidien des Deutschen Roten Kreuzes übernehmen. Für die zwangsläufig entstehenden Interessenkonflikte müssen Verfahren entwickelt werden, um die Unabhängigkeit der Organisation sichtbar zu wahren und damit ihre Glaubwürdigkeit als humanitäre Institution zu bewahren.
Interessenkonflikte können auch an anderen Stellen auftreten und gänzlich vermieden werden. Wenn ein Lieferant, großer Kunde oder der Vertreter eines bedeutenden institutionellen Spenders eines Kreisverbands eine entscheidende Rolle in ihm wahrnimmt, dann sind Interessenkonflikte praktisch unauflösbar. Dasselbe kann bei Beamten und anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Fall sein, die in kollidierende Loyalitätspflichten geraten.
Weitere Informationen
- Artikel Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung
- Artikel Compliance
- Artikel Interessenkonflikt
Erläuterungen
- ↑ Dazu müsste nicht erst ein Krieg in Deutschland stattfinden. Zum Beispiel das Italienische Rote Kreuz hat mit dem Corpo militare volontario della Croce Rossa Italiana (CM-CRI) einen Freiwilligendienst, der den Sanitätsdienst der italienischen Armee unterstützt (Corpo ausiliario delle Forze Armate). Vgl. jedoch die neue Entwicklung durch das Positionspapier Bundeswehr.