Einheit

Nachschlagewerk über das Deutsche Rote Kreuz und die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung

Allgemeines

Der Grundsatz der Einheit ist einer der sieben Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.

Grundsatz

Deutscher Text

In jedem Land kann es nur eine einzige nationale Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaft geben. Sie muss allen offenstehen und ihre humanitäre Tätigkeit im ganzen Gebiet ausüben.1

Englischer Text

There can be only one Red Cross or one Red Crescent Society in any one country. It must be open to all. It must carry on its humanitarian work throughout its territory.2

Deutscher Slogan

Wir sind ein Rotes Kreuz – überall und für alle (ab 2018)

Wir haben viele Talente, aber nur eine Idee (2000–2017)

Bedeutung und DRK

Bedeutung

Der Grundsatz der Einheit enthält drei Anforderungen:

  1. Es darf nicht mehr als eine Nationale Gesellschaft in einem Staat geben.
  2. Alle gesellschaftlichen Gruppen können in dieser Gesellschaft mitwirken.
  3. Die Gesellschaft ist im ganzen Gebiet des betreffenden Staats aktiv.

In den folgenden drei Abschnitten wird beschrieben, wie diese Anforderungen in Deutschland erfüllt werden.

Eine Gesellschaft

Das DRK-Gesetz bestimmt den Deutsches Rotes Kreuz e.V als Nationale Gesellschaft. Das ist der Bundesverband als Dachverband, den es nur einmal gibt. Die Landes­verbände und wiederum deren Untergliederungen sind zwar eigenständige Vereine bzw. in Bayern eine Körperschaft, aber sie sind keine Nationalen Gesellschaften. Eine Nationale Gesellschaft bezieht sich auf einen Staat, und ein Landesverband ist nur in einem Bundesland oder in einem Teil eines Bundeslands tätig. Die Bundesländer haben als Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland zwar einen Grad von Staatlichkeit aber keine völkerrechtliche Souveränität.

Offenheit für alle

Es sind weder formal noch strukturell gesellschaftliche Gruppen von der Mitwirkung im DRK ausgeschlossen. Es gibt keine Bestimmungen in Regularien, die eine Gruppe davon abhalten, in der Organisation ehren­amtlich oder haupt­amtlich mitzuwirken. Anforderungen an Tätigkeiten bedeuten immer auch, dass es Menschen gibt, die diese Anforderungen nicht erfüllen und damit von der Mitwirkung in einen Bereich ausgeschlossen sind. Wenn diese Anforderungen sachlich gerechtfertigt sind (z.B. ein Mindestalter, eine gesundheitliche Eignung in der Wasserwacht, eine Berufsausbildung für eine haupt­amtliche Tätigkeit), dann steht das in keinen Widerspruch zum Grundsatz der Einheit.

Für ein Einwanderungsland und international vernetztes Land wie Deutschland ist es hingegen eine Herausforderung, dass die Menschen aller kulturellen Hintergründe und ggf. mit noch begrenzten Sprachkenntnissen in seiner Natio­nalen Gesell­schaft mitwirken können. Hier muss die Organisation aktiv an der Wahrung des Grundsatzes arbeiten. → Interkulturelle Öffnung

Gesamtes Gebiet

Das DRK übt seine Tätigkeit im gesamten Bundesgebiet aus. Die gesamte Fläche Deutschlands ist durch die Landes­verbände abgedeckt, die in der Regel wiederum ihr Gebiet durch Kreis­verbände abgedeckt haben. Wo Letzteres nicht gegeben ist (zum Beispiel in Berlin nach der Insolvenz und ersatzlosen Auflösung eines Kreisverbands), ist der Landesverband selbst zuständig. Zur Erfüllung des Grundsatzes ist es nicht erforderlich, ein gewisses Leistungsspektrum an jedem Ort im gesamten Gebiet anzubieten.

Fallbeispiele

Bayerisches Rotes Kreuz

Das Baye­ri­sche Rote Kreuz (BRK) existiert nicht neben dem Deut­schen Roten Kreuz, sondern ist als Landesverband ein Teil davon. Es ist das Deut­sche Rote Kreuz im Bundesland Bayern. Es trägt lediglich aus historischen und kulturellen Gründen einen anderen Namen. Die Landesverbände in Baden und Berlin tun das ebenfalls: Badisches Rotes Kreuz und Berliner Rotes Kreuz. Sie führen in ihrem offiziellen Namen noch zusätzlich Landesverband dazu.

Das BRK wurde 27. Juli 1945 neu gegründet, und zu diesem Zeitpunkt kurz nach dem Ende des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Welt­kriegsWP (1939–1945) (1939–1945) war die künftige politische und räumliche Ordnung Deutschlands unklar. Der Plan zur Schaffung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurde 1948 gefasst und 1949 mit dem Beschluss einer neuen Verfassung, des Grundgesetzes, umgesetzt.

Der DRK-Bundesverband wurde am 4. Februar 1950 gegründet, wodurch das Baye­ri­sche Rote Kreuz ein Landesverband und Mitglied des Bundesverbands wurde. Während das 1947 gegründete Badische Rotes Kreuz sich 1987 in Landesverband Badisches Rotes Kreuz umbenannte, behielt das BRK seine eingeführte Marke.

Bayerisches Rotes Kreuz ist nur ein Name und drückt keinen gegenüber den anderen Landesverbänden hervorgehobenen Status aus. Auch die Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts hebt das BRK nicht von den anderen Landesverbänden ab: Es ist kein Verwaltungsträger, wurde nicht mit Hoheitsgewalt ausgestattet, gehört nicht zum öffentlichen Dienst und ist nicht staatlich.3

Einheit ohne Einheitlichkeit

Das Wort Einheit verleitet an der sprachlichen Oberfläche zur Forderung nach Einheitlichkeit im Deut­schen Roten Kreuz. In der Bedeutung des Grundsatzes (siehe oben) ist diese Forderung jedoch nicht enthalten. Aus den Grundsätzen ergibt sich also nicht, dass zum Beispiel ein bundesweit einheitliches Erscheinungsbild gepflegt werden sollte.

Einheitlichkeit muss differenziert betrachtet werden. Eine bessere Wiedererkennbarkeit ist sicher werblich nützlich und gleich gestaltete Dienstbekleidung und Einsatzfahrzeuge machen einen besseren Eindruck, wenn sie zusammen gesehen werden. Ein einheitliches Erscheinungsbild würde darüber hinaus die Identifizierung der ehren­amtlichen Helfer und haupt­amtlich Beschäftigten mit der Organisation stärken. Dieses in der Praxis nicht erreichte, weil bewusst nicht durchgesetzte Ziel ist sinnvoll — aber nicht wegen des Grundsatzes der Einheit, sondern aus anderen Gründen für Compliance.

Die föderale Struktur des DRK wird in diesem Zusammenhang oft als organisatorische Schwäche genannt. Auch sie ist kein Widerspruch zur Einheit, denn eine große Organisation braucht im Inneren eine geeignete Aufbauorganisation. Die relative Unabhängigkeit der Gliederungen ist sogar eine Stärke, weil örtliche Bedürfnisse besser erkannt und leichter bedient werden können. Außerdem stärkt sie die Verantwortung der Leitungskräfte in den Gliederungen. Mit der Freiheit kommen aber neben Verantwortung auch moralische Pflichten auf die Leitungen zu, zum Beispiel das Bekenntnis zur Organisation, insbesondere zu ihren Zielen, Idealen und Regeln. Fehlende Compliance bezeugt einen Mangel an diesem Verständnis.

Insofern hat das das absichtliche Abweichen von vorgegebenen Regeln, zum Beispiel zum einheitlichen Erscheinungsbild, einen Bezug zum Grundsatz Einheit. Die demonstrative Untreue schwächt die Einheit der Organisation. Sie ist zwar durch eine solche Gliederung vor Ort formal vertreten, aber die Vertretung ist unvollständig, wenn Regeln missachtet werden, die für die Gliederung dazu gehören, das Deut­sche Rote Kreuz zu sein.

Israel und Palästina

Die Palästinensischen AutonomiegebieteWP befinden sich in einer Übergangsphase zwischen dem Status eines autonom regierten Landesteils und eines eigenständigen Staates. Wenn Palästina als Teil des Staatsgebiets von Israel betrachtet wird, dann gibt es zwei Nationale Gesellschaften in Israel: Magen David Adom (MDA, Roter Schild Davids) und der Pa­läs­ti­nen­si­sche Rote Halb­mond (PRH).

Der Grundsatz der Einheit ist jedoch gewahrt, denn die Rotkreuz- und Rothalb­mond-Be­we­gung schuf 2006, nach der völkerrechtlichen Einführung des Roten Kristalls in 2005, für Israel und Palästina eine Ausnahmeregelung, so dass sie unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen wie zwei Länder betrachtet werden.4

Gäbe es nur ein Wahrzeichen, das nicht konfessionell gedeutet würde, und könnte man die lange Geschichte ausblenden, dann hätte auch eine Nationale Gesellschaft mit Untergliederungen die Rotkreuz-Aufgaben im gesamten Gebiet wahrnehmen können. Heute ist es jedoch undenkbar, dass in Israel der Rote Halb­mond und in Palästina der Rote David­stern von den Hilfsorganisationen benutzt werden. Der Rote Kristall böte einen Ausweg, aber die tradierten Wahrzeichen sind emotional und religiös zementiert.

Kosovo und Serbien

Die Republik KosovoWP wird nicht von allen Staaten als eigener Staat anerkannt, insbesondere nicht von Serbien, von dem sie sich 2008 durch eine Unabhängigkeitserklärung löste. Diese Situation führte dazu, dass es heute (2020) zwei Rotkreuz-Gesellschaften auf diesem Gebiet gibt, für Kosovo als unabhängigen Staat (Kosovarisches Rotes Kreuz, Kryqi i Kuq i Kosovës) und für die serbische Provinz Kosovo und Metochien (Rotes Kreuz von Kosovo und Metochien, Crveni krst Kosova i Metohije). Die beiden Gesellschaften konkurrieren nicht, sondern teilen ihre Arbeit nach ethnisch definierten Bevölkerungsgruppen.

Im dem Gebiet, das Kosovo genannt wird, ist der Grundsatz der Einheit verletzt. Egal, ob man es als eigenen Staat (oder De-facto-Staat) oder als autonome Provinz von Serbien betrachtet, gibt es keine Nationale Gesellschaft, die dieses Gebiet alleine abdeckt. Darüber hinaus kann die Trennung der Aufgaben der beiden Gesellschaften als Verletzung des im Grundsatz der Unparteilichkeit enthaltenen Diskriminierungsverbots sein, wenn sie bei ihren Tätigkeiten eine Ethnie vernachlässigen, um die sich die jeweils andere Gesellschaft kümmert.

Flandern und Wallonien

Im Belgien dominieren zwei Bevölkerungsgruppen, die verschiedene Sprachen sprechen. Entsprechend teilt sich der Staat in die Flämische RegionWP (Flandern), in der Niederländisch gesprochen wird, in die französisch- und im geringeren Umfang deutschsprachige Wallonische RegionWP (Wallonien), und in die zweisprachige Region Brüssel-HauptstadtWP. Belgien ist ein föderal organisierter Staat.

In Belgien gibt es mit dem Belgischen Roten Kreuz eine einzige Nationale Gesellschaft, so dass der Grundsatz der Einheit gewahrt ist. Die innere Struktur der Gesellschaft mit regionalen Gliederungen orientiert sich an der staatlichen Struktur. Die Präsidentschaft wechselt alle zwei Jahre zwischen den Flamen und den Walloniern.

Syrien und Rojava

In Syrien herrscht seit 2011 ein BürgerkriegWP, der auch erhebliche Auswirkungen auf Deutschland und für das Deut­sche Rote Kreuz hat, beispielsweise durch die Flüchtlingssituation ab 2015WP und deren Folgen. Die syrische Regierung kontrolliert nicht das gesamte Staatsgebiet, und die Nationale Gesellschaft in Syrien, der Syrisch-Arabische Rote HalbmondWP, ist nicht im gesamten Staatsgebiet aktiv. In der Autonomen Administration von Nord- oder Ostsyrien, genannt RojavaWP, ist der Kurdische Roter Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) aktiv. Obwohl letztere Organisation keine anerkannte Rothalbmondgesellschaft ist, weil sie nicht der Rotkreuz- und Rothalb­mond-Be­we­gung angehört, ist sie ihr zumindest ideell nahestehend. Der Grundsatz der Einheit ist daher gegenwärtig in Syrien nicht voll umgesetzt.

Weitere Informationen

Einzelnachweise

  1. Deutsches Rotes Kreuz, Die Grundsätze des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, Berlin, 15. Mai 2019.
  2. Internationale Föderation, The seven Fundamental Principles, Genf, 22. September 2010.
  3. Siehe Artikel Bayerisches Rotes Kreuz!
  4. Ian Piper, A landmark for the Movement. The red Crystal conference, in: The Magazine of the International Red Cross and Red Crescent Movement, Nr. 3, Genf 2006.