Unparteilichkeit
Allgemeines
Der Grundsatz der Unparteilichkeit ist einer der sieben Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Er wird aus sprachlichen Gründen oft mit der Neutralität verwechselt. Die Unparteilichkeit ist ein Diskriminierungsverbot ist, während sich die Neutralität bezieht sich auf die Haltung der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung vor allem in einem Konflikt bezieht.
Grundsatz
Deutscher Text
Die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung unterscheidet nicht nach Nationalität, Rasse, Religion, sozialer Stellung oder politischer Überzeugung. Sie ist einzig bemüht, den Menschen nach dem Maß ihrer Not zu helfen und dabei den dringendsten Fällen den Vorrang zu geben.1
Englischer Text
It makes no discrimination as to nationality, race, religious beliefs, class or political opinions. It endeavours to relieve the suffering of individuals, being guided solely by their needs, and to give priority to the most urgent cases of distress.2
Deutscher Slogan
Wir helfen allen Menschen - und allein nach dem Maß der Not (ab 2018)
Wir versorgen das Opfer, aber genauso den Täter (2000–2017)
Fallbeispiele
Impfungen während COVID-19-Pandemie
Nachdem im Zuge der Bewältigung der COVID-19-Pandemie (2020–2021) ab Ende Dezember 2019 die Impfungen begannen, engagierte sich eine Reihe von Gliederungen des Deutschen Roten Kreuzes bei staatlichen Impfzentren und den Impfkampagnen in Senioren- bzw. Pflegeheimen, deren besonders gefährdete Bewohner zuerst geimpft wurden. Dabei wurde öffentlich bekannt, dass zum Beispiel in Bad Säckingen, Bielefeld, Fulda und Hamburg-Harburg entgegen der Verordnung der Bundesregierung eigenes Personal, darunter auch Funktionäre, geimpft wurden. Dazu wurden zum Beispiel vorhandene Reste des zur Verimpfung vorbereiteten Impfstoffes verwendet. Die Betroffenen rechtfertigen sich unter anderem dadurch, dass der nur kurze Zeit haltbare Impfstoff sonst hätte entsorgt werden müssen. In einer Phase, in der der Impfstoff noch sehr knapp gewesen sei, wäre er sonst verschwendet worden, wenn man ihn entsorgt hätte statt ihn zu verimpfen. Es ist davon auszugehen, dass es eine gewisse Dunkelziffer ungerechtfertigter Impfungen gibt, weil eine Infektion mit dem Virus zu einem tödlichen Krankheitsverlauf führen kann und der Wunsch gesund zu bleiben und im Extremfall auch zu überleben naturgemäß sehr stark ist. Die Verlockung, sich selbst zu impfen oder impfen zu lassen, ist für Helfer entsprechend groß.
Das DRK-Sekretariat kritisierte dieses Verhalten in einer Pressemitteilung und verwies mit Blick auf die Vorgänge in Hamburg-Harburg auf vermutlich die Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung: Der DRK-Landesverband Hamburg erklärte, dass die Vorgänge nicht mit den Grundsätzen des Deutschen Roten Kreuzes und den gesetzlichen Vorgaben bei der Priorisierung von Risikogruppen in Einklang zu bringen seien.3 Offen bleibt, welcher Grundsatz damit gemeint ist.
Unmittelbar anwendbar ist der Grundsatz der Unparteilichkeit, weil er Hilfe nach dem Maß der Not fordert, so dass den dringendsten Fällen den Vorrang zu geben ist. Das ist offensichtlich nicht der Fall, wenn beispielsweise ein Kreisgeschäftsführer geimpft wird, der keiner Hochrisikogruppe angehört. Das Argument, der Impfstoff würde sonst verschwendet, greift nicht, denn es zeigt eine schlechte Organisation des Impfens. Es darf nur so viel des knappen Impfstoffs aufbereitet werden wie absehbar benötigt wird, und für den Fall, dass dennoch etwas übrig bleibt, sind weitere berechtigte Impfkandidaten vorzuplanen, die dann vorzeitig geimpft werden können. Eine fahrlässig oder bewusst schlechte Organisation, die zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Unparteilichkeit führt, verletzt damit selbst bereits den Grundsatz.
DRK im Dritten Reich und Arierparagraph
Anton Schlögel (1911–1999) zufolge wurde im Gesetz über das Deutsche Rote Kreuz (1937) bewusst kein Arierparagraph aufgenommen, der die Mitgliedschaft und Mitwirkung jüdischer und jüdischstämmiger Personen verbot, weil es nicht einmal das damalige nationalsozialistische Regime wagte, durch eine solche Bestimmung dem in der ganzen Welt geltenden Grundsatz der Neutralität des Roten Kreuzes zu widersprechen.4 Er führt weiterhin aus: Auch die damalige Regierung war sich darüber klar, daß die Aufnahme einer solchen Bestimmung den zwangsläufigen Ausschluß des Deutschen Roten Kreuzes aus der Weltgemeinschaft des Roten Kreuzes zur Folge gehabt hätte.4
Schlögel bezieht sich vermutlich auf den Grundsatz der Neutralität, weil darin von politischen, rassischen, religiösen oder ideologischen Auseinandersetzungen die Rede ist. Der zur Ideologie erhobene Antisemitismus ist sicherlich rassistisch und wurde von den Nationalsozialisten als politischer Konflikt dargestellt, aber es ist keine Auseinandersetzung im Sinne eines Konflikts, sondern die Diskriminierung und Verfolgung einer anhand willkürlicher Kriterien definierten Bevölkerungsgruppe mit dem Ziel ihrer Vernichtung, das heißt der Ermordung der betroffenen Menschen. Die Gewalt ist zu einseitig, um von einer Auseinandersetzung sprechen zu können. Daher ist der Grundsatz der Unparteilichkeit mit dem darin enthaltenen Diskriminierungsverbot anzuwenden.
Schlögel hat Recht, dass dem nationalsozialistischen Regime die Anerkennung des Deutschen Roten Kreuzes als Nationale Gesellschaft wichtig war, aber das geschah nicht weil die moralische Autorität des Internationalen Komitees (des IKRK) respektiert wurde4, sondern weil den Kriegsplänen eine Organisation, die den Namen Deutsches Rotes Kreuz führte, und die Beachtung der Genfer Abkommen mit Blick auf die in Kriegsgefangenschaft gehenden deutschen Soldaten förderlich war.
Bereits 1933 hatte Joachim von Winterfeldt-Menkin (1865–1945), der von 1921 bis 1933 Präsident und anschließend Ehrenpräsident des damaligen DRK war, in vorauseilendem Gehorsam den weitgehenden Ausschluss von jüdischen Personen verfügt, so dass es keine gesetzlichen Regelung mehr bedurfte. Außerdem war das Deutsche Rote Kreuz ab 1937 durch die Bestimmungen des Gesetzes über das Deutsche Rote Kreuz ausdrücklich und vorher bereits organisatorisch offensichtlich keine unabhängige Organisation mehr, sondern gleichgeschaltet und zu einem Teil des Unrechtsstaates geworden, was seine Auflösung 19455 und 1946 rechtfertigte. Für den Verlust der Anerkennung durch das IKRK hätte es genug Gründe gegeben — sehr offensichtlich zum Beispiel das von 1934 bis 1945 verwendete DRK-Logo mit Reichsadler und Hakenkreuz —, so dass der Arierparagraph dafür keine Rolle spielte.
Vereinbarkeit von Ehrenamt und Beruf
Das Deutsche Rote Kreuz erlebt seit Jahrzehnten einen Rückgang ehrenamtlichen Engagements, während die auf Bundesebene im Jahrbuch veröffentlichten Statistiken einen anderen Eindruck erwecken. Zugleich sind die Anforderungen an die Qualifikation gebundener Helfer gestiegen, das heißt sie müssen mehr Lehrgänge in ihrer Freizeit absolvieren, um ihr Hobby ausüben zu können. Darauf wurde beispielsweise mit einer Verkürzung von Lehrgängen und der erleichterten Anerkennung von Qualifikationen, die außerhalb des DRK erworben wurden, reagiert. Dennoch stellt ein Engagement für Berufstätige, die in Vollzeit einer anspruchsvollen Tätigkeit nachgehen, und ggf. noch eine eigene Familie haben, durch die erforderlichen Ausbildungen und Fortbildungen eine erhebliche zeitliche Belastung dar. Das hat zur Folge, dass zeitraubende ehrenamtliche Aufgaben eher durch Personen ausgeübt werden, die einem weniger anspruchsvollen Beruf oder einem Beruf mit größerer Flexibilität nachgehen, oder die privat weniger durch Familie gebunden sind. Mittelbar erschwert daher das DRK einigen gesellschaftlichen Gruppen das ehrenamtliche Engagement. Das stellt noch keine Diskriminierung und damit Verletzung des Grundsatzes der Unparteilichkeit dar, aber gefährdet die Ziele dieses Grundsatzes und schwächt ihn damit.
Weitere Informationen
- Artikel Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung
- Die Satire Hänsel, Gretel und das Rote Kreuz kritisiert die Unparteilichkeit des IKRK.
- Artikel Tutti fratelli
- Heike Spieker, Die Grundsätze, die humanitäre Hilfe und das Bundesverfassungsgericht, in: Rainer Schlösser, Volkmar Schön (Hrsg.), Tutti fratelli – tutte sorelle. Gemeinsam für das Rote Kreuz – Zum Gedenken an Christoph Brückner, München 2020, Seiten 220–222
Einzelnachweise
- ↑ Deutsches Rotes Kreuz, Die Grundsätze des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, Berlin, 15. Mai 2019.
- ↑ Internationale Föderation, The seven Fundamental Principles, Genf, 22. September 2010.
- ↑ DRK.de, Impfzentren - DRK: Rotkreuz-Mitarbeiter haben bei Impfaktion Vorbildfunktion, Berlin, 3. Februar 2021.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Anton Schlögel, Geist und Gestalt des Roten Kreuzes. Eine Auswahl von Reden und Aufsätzen von Anton Schlögel, 2. Auflage, Bonn 1988, Seite 31.
- ↑ Das DRK wurde 19. September 1945 der Sowjetischen Besatzungszone, am 25. September 1945 in der amerikanischen Besatzungszone und am 3. Januar 1946 in der französischen Besatzungszone verboten und damit aufgelöst.