Verdrängung des Dritten Reichs

Nachschlagewerk über das Deutsche Rote Kreuz und die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung

Allgemeines

In der Zeit des National­sozia­lis­mus (1933–1945) passte sich das Deut­sche Rote Kreuz nach der Machtübernahme und dem damit verbundenen Ende der Weimarer Republik (1918–1933) selbst schnell an das faschistische Diktatur an, und im mehreren Schritten wurde es auch in den NS-Staat (1933–1945) integriert. Sichtbare Veränderungen waren zum Beispiel der DRK-Adler ab 1934 und die Reorganisation zu einer zentralistischen Hilfsorganisation per Gesetz in 1937.

Mit dem Ende des Zweiten Welt­kriegs (1939–1945) ging der NS-Staat (1933–1945) unter, und das damalige DRK auf Reichsebene wurde als tief in das totalitäre Regime integrierte Organisation aufgelöst. In den westlichen Besatzungszonen kam es zügig zu Neugründungen, und unter anderem die Landes­verbände entstanden, die 1950 ein neues, das heutige Deut­sche Rote Kreuz gründeten. Parallel dazu gab von 1952 bis 1990 das DRK der DDR.

In der Nachkriegszeit und den folgenden Jahrzehnten fand kaum Vergangenheitsbewältigung in der Organisation statt, nachdem durch die großzügige Handhabung im Rahmen der Entnazifizierung die meisten Akteure formal entlastet worden waren. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde als etwas dargestellt, das wie eine schicksalhafte Naturkatastrophe über die Organisation gekommen war, die man nach ihrer Bewältigung als erledigt ansehen konnte. Die Erinnerung an diese Phase der eigenen Geschichte wurde verdrängt.

Ab den 1990er-Jahren erschienen eine Reihe von Publikationen zu dem Thema, die nicht aus der Organisation selbst stammten. Zugleich waren die damaligen Akteure inzwischen verstorben, was möglicherweise auch eine Rolle spielte, weil keine Rücksicht mehr als sie genommen werden musste. Es begann eine Phase der Aufarbeitung, die in den 2000er-Jahren ihren Höhepunkt fand und seither noch von interessierten einzelnen Stellen weitergeführt wird.

Dieser Artikel führt Beispiele auf, wie in der Vergangenheit die Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes in der Zeit des National­sozia­lis­mus (1933–1945) verdrängt wurde und in punktuell in der Gegenwart noch verdrängt wird.

Belasteter Chefarzt des DRK-Krankenhauses in Busan

Der Mediziner Günther Huwer (1899–1992) war in der Zeit des National­sozia­lis­mus (1933–1945) Mitglied der NSDAP und als Arzt an Zwangssterilisationen beteiligt. Seine Rolle im NS-Staat (1933–1945) wurde zu seinen Lebzeiten nicht untersucht, um ihn ggf. zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er sich schuldig gemacht haben sollte. In der jungen Bundesrepublik wurden die Verbrechen des Nationalsozialismus verdrängt. Er selbst verteidigte später die Zwangssterilisationen als medizinisch notwendige und von den Opfern gewünschte Eingriffe.1

Da sich Günther Huwer von 1935 bis 1952 in China aufgehalten und praktiziert hatte, setzte ihn das neu gegründete Deut­sche Rote Kreuz (DRK) als Chefarzt des DRK-Krankenhauses in Busan in Südkorea ein, das es von 1954 bis 1959 als humanitäre Maßnahme nach dem Koreakrieg (1950–1953) betrieb. Seine NS-Vergangenheit war bekannt gewesen und wurde auch von der Presse thematisiert. Ebenso hatten mehrere weitere im Krankenhaus tätige Ärzte und die damalige Generaloberin des Verbands der Schwestern­schaften, die Rotkreuzschwestern Pflege sorgte, einen Hintergrund aus der NS-Zeit, ohne deshalb notwendig so belastet wie Huwer gewesen zu sein.2 Die 2018 erschienene Ausgabe von Reihe inform ging darauf erfreulich ausführlich ein.

Noch 1987 verteidigte Huwer in einem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt die Politik von Adolf Hitler (1889–1945) und der Nationalsozialisten1.1 und seine eigene Mitgliedschaft in der NSDAP1.2

Joachim von Winterfeldt-Menkin-Medaille in Brandenburg

Der DRK-Landesverband Brandenburg verleiht seit 1994 die → Joachim von Winterfeldt-Menkin-Medaille als Verdienstauszeichnung. Sie ist nach Joachim von Winterfeldt-Menkin (19251945) benannt, der von 1921 bis 1933 erster Präsident und anschließend Ehrenpräsident des DRK war. Er verfügte am 1. Juni 1933, nur knapp ein halbes Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, den weitgehenden Ausschluss jüdischer Personen aus dem damaligen Deut­schen Roten Kreuz. Zwei Wochen vorher schrieb er an Adolf Hitler (1889–1945): Im Namen dieser anderthalb Millionen Männer und Frauen im Deutschen Roten Kreuz erkläre ich die unbedingte Bereitschaft, uns Ihrer Führung zu unterstellen und Ihnen zu folgen.3 Er mag kein glühender Anhänger des Nationalsozialismus gewesen sein, aber sein Rücktritt als Präsident in 1933 ist schwerlich als eine ihn entlastende Widerstandshandlung zu gewichten. Mit der Wahl seines Namens wurde und wird weiter seine historische Rolle verdrängt.

Klinik Maingau von Roten Kreuz in Frankfurt am Main

Das Krankenhaus Maingau in Frankfurt am Main wurde 1912 als Kaiserin Auguste Viktoria Haus des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz eröffnet.4 Es war nach Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (1858–1921), der Ehefrau des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II. (1888–1918) benannt. Es folgten eine Reihe von Veränderungen, bis 1939 ungefähr der heutige Name bestimmt wurde: Krankenhaus Maingau.5

Es ist möglich, dass der Begriff Maingau dadurch nicht belastet ist, weil er vielleicht eigentlich auf eine damalige Schwesternschaft zurückgeht. Sie war zum Zeitpunkt der Benennung allerdings bereits aufgelöst, und das damalige Deut­schen Roten Kreuz (1937–1945/46) legte Wert darauf, alte Bezeichnungen gerade nicht fortzuführen. Für den Namen spricht, dass die zuständige territoriale Verwaltungseinheit der NSDAP das Gau Hessen-Nassau war und es nie einen Gau namens Maingau gegeben hatte. Entlastend ist ebenfalls, dass der Begriff → Maingau historisch älter ist und eine Region bezeichnete, der Frankfurt nie angehörte.

Ob die 1890 gegründete Schwesternschaft, die Träger der Klinik war, vor ihrer Neugründung im Jahr 1947 den Namen bereits Maingau trug, ist hier nicht bekannt. Sie hieß zunächst Schwesternschaft Maingau vom Roten Kreuz Frankfurt am Main e.V. und ging 1975 nach einer Fusion in der heutigen DRK-Schwesternschaft Bad Homburg-Maingau e.V. auf, die faktisch eine Einheit mit Schwesternschaft vom Roten Kreuz Frankfurt am Main von 1866 e.V. bildet.6

Es wäre ein Zeichen der Distanzierung von der Zeit des National­sozia­lis­mus (1933–1945) gewesen, die 1939 bestimmte Bezeichnung des Krankenhauses in der Nachkriegszeit zu ändern, zumal der Bestandteil …gau durch die Struktur der NSDAP befremdlich gewesen sein dürfte. Da der Name etabliert, nicht als belastet wahrgenommen wird und die Klinik Maingau ohnehin in 2026 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden wird7 handelt es sich nur um theoretische Überlegungen ohne praktische Relevanz.

Weitere Informationen

Einzelnachweise

  1. Während der Zeit, die ich vor meinem Ausscheiden aus Jena in der Klinik tätig war, wurden Frauen zur Sterilisation eingewiesen. Heute wird diese Maßnahme als unmenschliches Vergehen dargestellt, und damit werden Tausende von Ärzten zu Verbrechern abgestempelt. Wir alle haben damals dies Vorgehen durchaus gebilligt, denn es war nicht unmenschlich. Wir Ärzte handelten aus der Überzeugung, daß diese Sterilisierungen viel Leid verhindern würden. Keine der Frauen, die während meiner Zeit eingewiesen wurden, war bekümmert, wenn sie aufgeklärt wurde, daß ihr Sexualleben nicht betroffen sein würde, daß nur eine Empfängnis verhindert würde. Nach meiner Erinnerung hatten damals alle diese Frauen schon Kinder geboren. Unlängst wurde in zwei Heften des Deutschen Ärzteblattes auf die Häufigkeit und Schwere der Kindesmißhandlungen und des sexuellen Mißbrauches von Kindern hingewiesen – und genau die Eltern solcher Kinder sind damals sterilisiert worden. Wir Ärzte haben diese Menschen nicht als Verbrecher, sondern als Kranke gesehen. — Günther Huwer, Angelastete Schuld, in: Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 84, Heft 31/31, 1. August 1987, Seiten A‐2104–A‐2106; Seite A-2106.
    1. Das Versailler Diktat, dieses unmenschliche, von Haß diktierte Machwerk, würde noch heute das deutsche Volk versklaven, wäre es in Kraft geblieben. Hitler hat das deutsche Volk von diesem unerträglichen, demütigenden Joch befreit. Die an ein Wunder grenzende Beendigung der Arbeitslosigkeit, nicht durch einen Gewaltakt, sondern dadurch zustande gekommen, daß sinnvolle Arbeit geschaffen wurde - ohne Zwang! — Seite A-2105.
    2. Wir alle […] traten im März 1933 der Partei bei, wurden also zu den sogenannten Märzgefallenen. Dieser Beitritt zur Partei hatte keinerlei Vorteile für uns. Wir in der Frauenklinik waren durchaus nicht die einzigen. Auch in den anderen Fakultäten wurden viele Ärzte Parteimitglieder. Man achtete die Tätigkeit und die Erfolge Hitlers, man achtete wohl besonders, daß er es erreicht hatte, der Jugend Mut für die Zukunft, Selbstvertrauen und einen Idealismus einzuflößen. — Seite A-2105.
  2. Deutsches Rotes Kreuz, Hilfe in der Not. Das deutsche Krankenhaus in Busan, inform. Das Magazin des DRK, Berlin, Dezember 2018, Seiten 19–21.
  3. Deutsches Rotes Kreuz: Blätter des Deutschen Roten Kreuzes. 12. Jahrgang, 1933, S. 276.
  4. Ingrid Karb, Ein Krankenhaus, das den Pflegenden gehört, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 16. November 2012.
  5. Ich ordne an, daß die obengenannte Anstalt [DRK-Krankenhaus Framkfurt a. M., Eschenheimer Anlage] fortab die Bezeichnung „Deutsches Rotes Kreuz Krankenhaus Maingau“ zu führen hat. — Deutsches Rotes Kreuz, Verordnungsblatt, Berlin 1937ff, Folge 7, Juli 1939, Kennzeichen P, Blatt 9.
  6. Website ZweiSchwesternschaften-Frankfurt.de.
  7. Boris Schlepper, Aus für Maingau-Klinik im Frankfurter Nordend, in: Frankfurter Rundschau, 1. Juli 2025.