Neutralität
Allgemeines
Der Grundsatz der Neutralität ist einer der sieben Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Er wird im deutschsprachigen Raum aus sprachlichen Gründen oft mit der Unparteilichkeit verwechselt. Die Neutralität bezieht sich auf die Haltung der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung vor allem in einem Konflikt, während die Unparteilichkeit ein Diskriminierungsverbot ist.
Grundsatz
Deutscher Text
Um sich das Vertrauen aller zu bewahren, enthält sich die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung der Teilnahme an Feindseligkeiten wie auch, zu jeder Zeit, an politischen, rassischen, religiösen oder ideologischen Auseinandersetzungen.1
Englischer Text
In order to continue to enjoy the confidence of all, the Movement may not take sides in hostilities or engage at any time in controversies of a political, racial, religious or ideological nature.2
Deutscher Slogan
Wir ergreifen die Initiative – und nicht Partei (ab 2018)
Wir ergreifen die Initiative, aber niemals die Partei (2000–2017)
Fallbeispiele
Segnung eines neuen Einsatzfahrzeugs (Fiktion)
Ein Ortsverein in einer katholisch geprägten Gemeinde in Baden-Württemberg hat nach zwanzig Jahren ein neues Einsatzfahrzeug anschaffen können. Zu dem kleinen Fest, das der Vorstand des Ortsvereins aus diesem besonderen Anlass organisiert hat, kommt auch der örtliche Diakon der katholischen Kirche und segnet das Fahrzeug in einer kleinen Zeremonie. Ein kürzlich aus Brandenburg zugezogener Angehöriger der Bereitschaft diskutiert anschließend mit der Vorsitzenden des Vorstands, ob der Grundsatz der Neutralität eine solche Fahrzeugsweihe denn zuließe.
Der Diakon hat das Gespräch mitgehört und erklärt zunächst, dass es sich um eine Segnung handele, nicht um eine Weihe. Zum Beispiel er als Diakon sei geweiht; die Diakonweihe habe er erst letztes Jahr erhalten. Die Segnung sei dagegen kein Sakrament. Indem er das Fahrzeug segne, stelle er nicht sich oder die Kirche in den Vordergrund, sondern er bitte damit Gott zum Beispiel um den Schutz des Einsatzfahrzeugs und seiner Insassen, also der aktiven Mitglieder des Ortsvereins, die es künftig nutzen würden. Damit drücke er als offizieller Vertreter der Kirche deren Anerkennung für den ehrenamtlichen und wohltätigen Einsatz der Bereitschaft aus. Das Fahrzeug würde dadurch nicht katholisch. Segnen könne im Übrigen jeder Christ. Das sei nicht das Privileg eines Diakons, Priesters oder Bischofs.
Die Vorsitzende des Ortsvereins ergänzt, dass der Grundsatz der Neutralität bedeute, dass das Rote Kreuz im Falle eines gewaltsamen Konflikts darauf achte, dass seine humanitäre Arbeit — für alle Beteiligten gut erkennbar — von der militärischen Tätigkeit zum Beispiel der Bundeswehr unterschieden sei. Es herrsche gerade kein Krieg in Baden-Württemberg. Selbst dann beeinflusste die Segnung des Fahrzeugs höchstens im Falle eines Religionskriegs die wahrgenommene Neutralität des Roten Kreuzes.
Es gäbe auch derzeit keine religiösen oder ideologischen Auseinandersetzungen, von denen der Grundsatz spricht, in der hiesigen Gemeinde. Die Angehörigen aller Religionen lebten hier friedlich miteinander und mit denen, die keinem Glauben angehörten. Und sogar dann, wenn es einen so bedeutenden religiösen Streit gäbe, würde die Segnung des Fahrzeugs die neutrale Außenwirkung zugegebenermaßen beeinträchtigen, aber sie beeinflusste nicht die tatsächliche Hilfeleistungen des Ortsvereins. Mit dem gesegneten Fahrzeug würde allen Menschen geholfen, die Hilfe benötigten, seien sie katholisch oder nicht.
Fußballmannschaft als Integrationsprojekt
Der DRK Kreisverband Oberhausen gründete im Sommer 2017 eine Herren-Fußballmannschaft aus geflüchteten jungen Männern. Damit sie bei Wettbewerben antreten können, wurde ein eigener Verein dafür gegründet: FC Together – DRK Oberhausen e.V. Auf dem Ärmel der roten Trickots tragen die Spieler ein kleines DRK-Kompaktlogo.3
Zwei Jahre kritisiert das Projekt jemand in einem sozialen Netzwerk: An sich eine gute Sache aber trotzdem muss ich sagen eine Fußball Verein und das DRK geht nicht es passt nicht mit der Unparteilichkeit und Neutralität erst Recht nicht noch als Logo Hier wird eindeutig die Grundsätze gebrauchen [sic!]. Es regt sich schnell Widerstand gegen diese Einzelmeinung.
Ein Fußballspiel ist keine Feindseligkeit im Sinne des Grundsatzes der Neutralität. Die Auseinandersetzung zwischen zwei Fußballmannschaften ist auch weder politischer, noch rassischer, noch religiöser, noch ideologischer Natur. Es ist eine sportliche Auseinandersetzung. Der Grundsatz ist hier also nicht anwendbar. Daher wird er nicht verletzt.
Drohnenstaffel unterstützt Polizei bei Festnahme
Eine Drohnenstaffel des DRK unterstützte im September 2020, in vermeintlicher Amtshilfe, die Polizei bei der Suche nach einer flüchtigen Person, von der angenommen wurde, dass sie sich in einem großen Maisfeld versteckt haben könnte. Mit den von den Drohnen gelieferten Bildern lotsten die ehrenamtlichen Angehörigen der örtlichen Bereitschaft die Polizisten zu den Stellen im Maisfeld, wo sich der gesuchte Straftäter aufhalten könnte, um seine Festnahme zu ermöglichen.
Obwohl es der betreffende Ortsverein so nannte, handelte es sich nicht um Amtshilfe, denn Amtshilfe ist die Unterstützung einer Behörde durch eine andere Behörde, und das Deutsche Rote Kreuz ist keine Behörde. Das DRK unterstützte hier als private Organisation die Polizei. Wie das in so einem Fall möglich ist, ist eine verwaltungs- und polizeirechtliche Frage und wird hier nicht näher betrachtet.
Die Festnahme einer gesuchten und flüchtigen Person ist eine polizeiliche Aufgabe und die Ausübung staatlicher Gewalt. Die Polizei dabei zu unterstützen, ist keine humanitäre Tätigkeit, wenn die betreffende Person nicht hilflos, akut erkrankt, erheblich verletzt oder ein verirrtes Kind ist, also in irgendeiner Form der Hilfe benötigt. Die Unterstützung solcher polizeilichen Aufgaben ist keine satzungsmäßige Aufgabe irgendeiner DRK-Gliederung. Der Ortsverein hat also gegen seine eigene Satzung verstoßen. Damit gefährdet er auch seine Gemeinnützigkeit.
Wenn sich das Deutsche Rote Kreuz, zudem öffentlichkeitswirksam in sozialen Medien, an der Suche nach flüchtigen Straftätern aktiv beteiligt, erweckt es stark den Eindruck, sich auch in anderen Situationen nicht neutral zu verhalten. Zum Beispiel bei politischen Demonstrationen wird stets die Polizei im Einsatz sein, und ein Sanitätswachdienst des DRK kann dort seine Aufgaben nur dann wahrnehmen, wenn er nicht als Hilfspolizei gesehen wird.
Der Polizeieinsatz ist nicht zu den politischen, rassischen, religiösen oder ideologischen Auseinandersetzungen zu rechnen, und es handelt sich auch nicht um eine Feindseligkeit im Sinne des Grundsatzes der Neutralität. Er ist daher auf diesen Fall nicht direkt anwendbar. Es entsteht jedoch der Eindruck, nicht konsequent neutral zu sein, und das gefährdet das Ziel des Grundsatzes.
Streit mit Demosanitätern in Kandel
Als Folge des Mordfalls Mia V. in 2017 kam es in Kandel (Rheinland-Pfalz) zu politischen Demonstrationen. Sie wurden vom dortigen Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes im Auftrag der Kreisverwaltung sanitätsdienstlich betreut.4 Daneben war auch die Sanitätsgruppe Süd-West im Einsatz, die der politischen Linken zuzuordnen ist. Bei der Demonstration am 6. Oktober 2018 kam es anlässlich der medizinischen Erstversorgung eines von einem Polizeihund verletzten Demonstranten zu einem Streit zwischen Angehörigen beider Vereine. Anschließend wurden Vorwürfe gegen das DRK geäußert, sich nicht neutral verhalten zu haben5, die der Ortsverein mit Verweis auf den Grundsatz der Neutralität von sich wies.
Der Vorgang lässt sich anhand der öffentlichen Berichte nicht bewerten. Er zeigt jedoch, dass es nicht nur erforderlich ist, dass sich Gliederungen des Deutschen Roten Kreuzes insbesondere bei politischen Demonstrationen neutral verhalten, sondern dass sie durch ihr Verhalten auch einen neutralen Eindruck erwecken, um sich das Vertrauen aller Beteiligten zu erhalten. Die Existenz organisierter Demosanitäter ist ein Indiz dafür, das es politisch engagierte Bevölkerungsgruppen gibt, die die Neutralität des DRK (und der anderen Hilfsorganisationen) bezweifeln. Auch mangelnde Unabhängigkeit oder ein entsprechender Anschein, beispielsweise durch die Weitergabe vom Patientendaten an öffentliche Stellen oder die sichtbare Positionierung eines Sanitätswachdiensts in der Nähe von Polizeikräften, kann das Vertrauen solcher Gruppen in das DRK erschüttern. Bemerkenswerterweise stellte die Sanitätsgruppe Süd-West ihr ungetrübtes Verhältnis zum DRK und zum betreffenden Ortsverein klar.6
Weitere Informationen
- Artikel Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung
- Artikel Kopftuch
- Die Satire Hänsel, Gretel und das Rote Kreuz kritisiert die Neutralität des IKRK.
- Heike Spieker, Die Grundsätze, die humanitäre Hilfe und das Bundesverfassungsgericht, in: Rainer Schlösser, Volkmar Schön (Hrsg.), Tutti fratelli – tutte sorelle. Gemeinsam für das Rote Kreuz – Zum Gedenken an Christoph Brückner, München 2020, Seiten 222–223
Einzelnachweise
- ↑ Deutsches Rotes Kreuz, Die Grundsätze des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, Berlin, 15. Mai 2019.
- ↑ Internationale Föderation, The seven Fundamental Principles, Genf, 22. September 2010.
- ↑ DRK Oberhausen, Integration durch Sport. Die Fußballmannschaft ist ein Integrationsprojekt der Wohlfahrts- und Sozialarbeit.
- ↑ Kandel: DRK-Rettungssanitäter leiten rechtliche Schritte gegen „Demosanitäter“ ein: „Es kann nicht sein, dass man uns so hinstellt, in: Pfalz-Express, 9. Oktober 2018.
- ↑ Sanitätsgruppe Süd-West, Kandel: Demonstrant durch Polizeihund verletzt, Pressemitteilung Nr. 25, Stuttgart, 6. Oktober 2018.
- ↑ Sanitätsgruppe Süd-West, Kandel: Verhältnis zum Deutschen Roten Kreuz, Stuttgart 2018.