Münsteraner Erklärung

Nachschlagewerk über das Deutsche Rote Kreuz und die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung

Allgemeines

Die Münsteraner Erklärung vom 30. Oktober 2011 wurde beim DRK-Zukunftskongress, der vom 28. bis 30. Oktober 2011 in Münster stattfand, entwickelt und zum Abschluss der Veranstaltung veröffentlicht. Sie trägt den Titel Offener, jünger, älter, gemeinsamer und umfasst im Kern sechs seinerzeit als notwendig erachtete Änderungen des Ehrenamts im Deut­schen Roten Kreuz.

Forderungen

Offener

Ehrenamt muss man sich leisten können – sei es als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Jugendlicher; gerade für Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen sind die sozialen Hürden des Engagements besonders groß. Das Ehrenamt muss daher sozial, aber auch kulturell, offener werden.

Gemäß dem Grund­satz der Einheit muss eine Rotkreuz-Gliederung grundsätzlich offen für alle geeigneten Personen sein, die in ihr mitwirken möchten, und die Unparteilichkeit verbietet eine ungerechtfertigte Diskriminierung, beispielsweise aufgrund der Herkunft. Die erste Forderung konkretisiert das für ehrenamtliche Tätigkeiten, indem sie darauf hinweist, dass die berufliche und gesellschaftliche Zugehörigkeit kein Hindernis für ein Engagement sein darf. Beispielsweise können Selbstständige nicht vergleichbar mit Angestellten im Katastrophenschutz mitwirken, wenn ihr Einnahmenausfall für Einsätze nicht vergleichbar mit dem Lohnausfall bei Angestellten kompensiert wird. Viele Aufgaben können schon von Jugendlichen wahrgenommen werden, und ein zu hohes Mindestalter für Aufgaben kann unsachgemäß sein und ein Engagement unnötig verhindern. Der Hinweis auf die kulturelle Öffnung erinnert an das Projekt: Interkulturelle Öffnung (IKÖ).

Jünger

Ehrenamt kann man lernen. Der Prozess beginnt idealerweise im Schulalter – durch Vorbilder aus der Familie, dem direkten Umfeld und der Schule. Dieser Prozess erreicht nur die bereits ehrenamtsnahen Gruppen – hier sollten vermehrt Möglichkeiten für jugendliches Engagement geschaffen werden.

Das Jugendrotkreuz ist seinem Selbstverständnis nach keine Nachwuchsorganisation wie die teils bestehenden eigenen Jugendgruppen der anderen Rotkreuz-Gemeinschaften (Bergwacht-Jugend, Wasserwacht-Jugend, Bereitschaftsjugend). Es nimmt eigene Aufgaben wahr — mit dem Schulsanitätsdienst auch direkt in der Schule — und bietet dadurch Kindern und Jugendlichen eine altergemäße, geschützte Form des Engagements. Es hat dieselbe Wertigkeit wie das ehrenamtliche Tätigkeiten von Erwachsenen. Zugleich schafft es Interesse an gegebenenfalls später freiwillig wahrgenommenen anderen Aufgaben.

Direkte Nachwuchsarbeit ist hingegen immer auch eine Herabsetzung der jungen Menschen. Sie signalisiert ihnen, dass sie noch keine Verantwortung übernehmen und daher nur an eine Aufgabe herangeführt werden können. Jedes Ehrenamt, auch für Erwachsene, hat Beschränkungen, und die persönliche Eignung hängt nicht nur vom Alter ab. Daher sollten Kindern und Jugendlichen eigene, altersgemäße Möglichkeiten des Engagements geboten werden.

Spontaner

Das Ehrenamt für einen Tag. Wie sich immer mal wieder kurzfristig engagieren? Manche Bürger und Bürgerinnen scheuen eine dauerhafte Verpflichtung – kurzfristige, spontane erfüllbare Ehrenämter können flexible Tätigkeiten ermöglichen.

Das gebundene, auf eine längere Dauer angelegte ehrenamtliche Engagement in den Rotkreuz-Gemeinschaften schreckt die Menschen mit einem engeren Zeitbudget und einem agilen Lebenslauf ab. Dazu tragen auch interne Bildungssysteme wie im Sanitätsdienst bei, die durch Struktur oder örtliche Umsetzung eine Mitwirkung erschweren.

Unter anderem die großen Einsatzlagen bei der Flüchtlingskrise 2015–2016, der COVID-19-Pandemie 2020–2022 und der Flutkatastrophe 2021 haben eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gezeigt, die jedoch nicht durch ein dauerhaftes Engagement in einer Organisation wie dem Deut­schen Roten Kreuz zum Ausdruck kommt. Die Rotkreuz-Gemeinschaften können selbst auch niedrigschwellige Mitwirkungsmöglichkeiten schaffen, und darüber hinaus können Un­ge­bun­dene Helfer die Aufgaben des DRK unterstützen. Das gilt auch für die Aufgaben im Alltag, nicht nur in besonderen Situationen wie bei Katastrophenfällen.

Älter

Fit durch Engagement: Wie können sich Bürger und Bürgerinnen nach dem Berufsleben weiter engagieren, wie können sie unterstützt werden, wo sind ihre Erfahrungen besonders wertvoll? Ältere sind bald die Mehrheit. Ihre Erfahrungen sind besonders wertvoll, aber noch zu wenig genutzt. Das Engagement Älterer soll als wertvolle Ressource noch besser in die Bürgergesellschaft einbezogen werden.

Das DRK hat keine dem Jugendrotkreuz analoge Struktur, um gezielt ältere Menschen für ein ehrenamtliches Engagement zu gewinnen. Ob das sinnvoll einzuführen wäre oder nicht, ist offen. Ein Hindernis für die Mitwirkung sind im Bereich der Hilfsorganisation die hierachischen Strukturen mit einer Wertschätzung von formalen Status, die unter anderem mit Dienststellungsabzeichen sichtbar gemacht werden. Menschen mit erheblicher Lebens- und Berufserfahrung werden zunächst an den unteren Enden der gelebten oder gefühlten Rangfolgen eingeordnet, und das ist mit einer Begegnung auf Augenhöhe schwer vereinbar. Daher ist für sie ein Engagement im Bereich der Wohlfahrtspflege (Sozialarbeit) einfacher, bei der das Ehrenamt jedoch nicht so etabliert ist wie im Bereich der Hilfsorganisation.

Gemeinsamer

[E]ngagiert, online, mobil – das neue Ehrenamt? Die Konvergenz von Informationstechnologien, Internet und realem Leben wird immer ausgeprägter – diese Entwicklung wird auch das Ehrenamt prägen. Institutions- und organisationübergreifende Ansätze zur Vernetzung sollen gestärkt werden.

Schon 2011 war die Bedeutung der Digitalisierung abzusehen, dennoch brachte erst die COVID-19-Pandemie mit dem gezwungenen Einsatz von Online-Systemen für Videokonferenzen und anderer Kollaboration einen bedeutenden Fortschritt in der Verbreitung und Tiefe der Nutzung, nicht nur für das DRK. Mit DRK-Server wurde in 2014 ein System eingeführt, das als Basis für eine eigene Infrastruktur zur gliederungsübergreifenden Kooperation sein könnte. Bisher (2022) wurden jedoch keine darauf aufbauenden Plattformen geschaffen. Das eigene soziale Netzwerk Rotbook startete 2014 und wurde 2021 wieder aufgegeben.

Anerkannter

Basis des bürgerschaftlichen Engagements ist die gesellschaftliche Anerkennung und Förderung ehrenamtlicher Arbeit. Die lokalen und gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen daher stets überprüft und ggfs. korrigiert werden. Aber auch die Wirtschaft muss ihre Mitverantwortung für eine zukunftsgerichtete Bürgergesellschaft übernehmen.

Diese Forderung ist sehr allgemein gehalten. Gemeint sein könnte, dass unter anderem auch die Arbeitgeber einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt leisten sollen und damit das freiwillige Engagement ihrer Beschäftigten besser anerkennen. Hier ist an die guten Erfahrungen im DRK der DDR zu denken.

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