Bundesgerichtshof – 1 StR 364/19 – 19. November 2019
Ein Arzt, der im BRK langjährig ehrenamtlich aktiv war, wurde für den sexuellen Missbrauch von über 20 Kindern und weitere Straftaten zu einer langen Haftstraft verurteilt. Er hatte auch das BRK benutzt, um sich Zugang zu Opfern zu verschaffen.
Straftaten durch Kinderarzt 1998–2014
Ein pädophiler Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin (Kinderarzt) hatte unter anderem in München, Augsburg und Hannover jahrelang Kinder missbraucht. Dazu nutzte er nicht seine beruflichen Möglichkeiten, sondern suchte sich die Opfer in seiner Freizeit. In Augsburg (Stadt) engagierte er sich seit 2009 auch im dortigen Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes als Chefarzt und organisierte ohne Abstimmung mit dem BRK, aber unter Nutzung von dessen Logo, in 2013 und 2014 Ferienfreizeiten. Außerdem nutzte er für seine Taten ein auf den Kreisverband zugelassenes Fahrzeug des Rettungsdienstes, das ihm als für das BRK tätiger Leitender Notarzt zur Verfügung stand. In Augsburg blieb er als Täter unerkannt. Erst nach seinem beruflichen Wechsel im September 2013 nach Hannover, wo er den sexuellen Missbrauch von Kindern fortsetzte, wurde er überführt, am 14. Oktober 2014 verhaftet und in Augsburg angeklagt. Von 1998 bis dahin hatte der dann 39-Jährige, der seit ca. 20 Jahren ehrenamtlich im BRK aktiv und bis auf den Missbrauch des Logos wohl unauffällig geblieben war, mehr als 20 Kinder missbraucht und dazu auch zahlreiche weitere Straftaten begangen.
Gerichtsprozesse 2015–2019
Das Landgericht Augsburg verurteilte den Arzt am 10. März 2016 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und 6 Monaten. Es ordnete darüber hinaus Sicherheitsverwahrung an und verbot ihm für den Rest seines Lebens, wieder als Arzt tätig zu sein. Nach einer erfolgreichen Revision des Urteils beim Bundesgerichtshof (BGH) am 23. März 2017 (1 StR 362/16) verurteilte ihn das Landgericht am 29. Januar 2019 erneut, nunmehr zu 12 Jahren und 9 Monaten mit erneut Sicherungsverwahrung und Berufsverbot. Bei einer erneuten Revision bestätigte der BGH am 19. November 2019 (1 StR 364/19) das neue Urteil weitgehend, wodurch es rechtskräftig wurde. Lediglich das Berufsverbot hob er auf, was keine praktische Relevanz hat, solange der Arzt in Haft ist, was aufgrund der Sicherungsverwahrung bis zu seinem Lebensende der Fall sein kann. Außerdem ist davon auszugehen, dass der Verurteilte seine Approbation wegen Unwürdigkeit verloren hat, also kein Arzt mehr ist, und sie nach einer eventuellen Entlassung nicht mehr wiedererteilt werden wird.
Weitere Informationen
Presseberichte
- Jörg Heinzle, Missbrauchs-Prozess: Wie Dr. Harry S. das Rote Kreuz schockte, in: Augsburger Allgemeine, 20. November 2015
- Merkur.de, Kinderarzt gesteht Missbrauch von 21 Jungen, 23. November 2015
- YouTube.com, Wölfe im Schafspelz - Wie Kinder zu Opfern sexueller Gewalt werden (WDR), 2016
Entscheidungen des BGH
- Bundesgerichtshof.de, Beschluss des 1. Strafsenats vom 23.2.2017 - 1 StR 362/16
- Bundesgerichtshof.de, Beschluss des 1. Strafsenats vom 19.11.2019 - 1 StR 364/19
Enzyklopädie
- Artikel DRK-Standards zum Schutz vor sexualisierter Gewalt
- Artikel Bayerisches Rotes Kreuz
- Artikel Chefarzt