20. Juli

Nachschlagewerk über das Deutsche Rote Kreuz und die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung

Ereignisse

1940 — Besprechung bei Adolf Hitler

Einem zwei Tage später angefertigten Aktenvermerk zufolge fand am 20. Juli 1940 ein Vortrag beim Führer über [das] DRK in der Neuen Reichskanzlei statt. Die Vortragenden waren die beiden Präsidenten des damaligen Deut­schen Roten Kreu­zes (1937–1945/46), Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha (1884–1954) und Ernst Robert Grawitz (1899–1945). Ihre Präsentation richtete sich an den so genannten Führer des NS-Staats (1933–1945), an Adolf Hitler (1889–1945). Der Aktenvermerk hält als Ergebnis fest:

Der Führer wünscht an dem internationalen Charakter des Roten Kreuzes festzuhalten. In Hinblick auf die Gegenseitigkeit müsse der Sitz in Internationalen Komitees nach wie vor in einem neutralen Ausland sein.

Offenbar war über das Inter­nationale Komitee vom Roten Kreuz gesprochen worden, das seit jeher seinen Sitz in Genf in der Schweiz hat. Das nationalsozialistische Deutsche Reich hatte keinen relevanten Einfluss auf das IKRK und konnte erst recht auch nicht mitentscheiden, wo es seinen Sitz haben solle. Eventuell gab es aufgrund des Zweiten Welt­kriegs (1939–1945), der um die politisch und militärisch daran unbeteiligte Schweiz herum stattfand, Überlegungen, im Falle einer deutschen Besetzung der Schweiz den Sitz des IKRK zu verlegen. Tatsächlich wurde im Sommer 1940 ein Operationsentwurf gegen die Schweiz diskutiert und später weiter ausgearbeitet, ohne dass es zu einer Umsetzung kam.

Weiterhin heißt es in dem Aktenvermerk zum DRK als die Nationale Gesellschaft in Deutschland:

Zur Durchführung der sich ergebenden Aufgaben müsse die nationale deutsche Organisation gesund und stark erhalten bleiben in Wahrung ihrer Unabhängigkeit gegenüber Partei und Wehrmacht.

Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha (1884–1954), der das Dokument unterzeichnet hat, wollte damit möglicherweise die Ansinnen konkurrierender NS-Organisationen zurückweisen, die auf eine Übernahme von Aufgaben des DRK drängten. Im NS-Staat gab es ein konkurrierendes Nebeneinander staatlicher Behörden und parteilicher Organisationen sowie zahlreiche, strukturelle Konflikte zwischen staatlichen Einrichtungen untereinander und auch zwischen anderen gesellschaftlichen, miteinander rivalisierenden Akteuren. Diese Polykratie ist ein Strukturmerkmal des NS-Staats, und einer der daran beteiligten Akteure war das DRK. Es ist denkbar, dass mit dem Vortrag am 20. Juli 1940 ein diktatorisches Machtwort Hitlers bewirkt werden sollte, auf das man sich dann anschließend berufen konnte. Dafür spricht auch die auffällige, spätere Beglaubigung von Walter Hewel (1904–1945), der zu dieser Zeit den Rang eines Vortragenden Legationsrats im Auswärtigen Amt hatte und zum inneren Führungszirkel des Regimes gehörte1:

Ich war bei der Besprechung des Herzogs v. Coburg und des Brigadeführers Gravitz [sic!] beim Führer anwesend und bestätige, dass das obige [sic!] sinngemäß die Stellungnahme des Führers wiedergibt.

Die im Aktenvermerk erwähnte Unabhängigkeit gegenüber Partei und Wehrmacht gab es tatsächlich nicht. Das damalige DRK war eine nationalsozialistische Organisation, was äußerlich durch beispielsweise DRK-Adler und Treueeid deutlich gemacht wurde, es wurde als solche 1945–1945 verboten und damit aufgelöst, und die Mitgliedschaft im DRK wurde bei der Entnazifizierung als belastendes Merkmal systematisch erfasst. Den heutigen Grundsatz der Unabhängigkeit gab es damals in der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung formal noch nicht.

Der Aktenvermerk ist noch lange nach den Tod von Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha (1884–1954) zu seiner moralischen Entlastung und der Verdrängung des Dritten Reichs zitiert worden. Zum Beispiel schrieb Anton Schlögel (1911–1999), der von 1958 bis 1976 der Generalsekretär des Bundesverbands gewesen war, 1985 in einem ausführlichen Artikel im Coburger Tageblatt: Grawitz und andere strebten seit 1937 mit aller Energie an, das DRK als NS-Organisation enger an die Partei zu binden. Der Herzog widersetzte sich diesem Vorhaben und errang sogar in einem Gespräch vom 22. Juli 1940 bei Hitler [die oben zitierte] Zusicherung.2 Als Folge der später erfolgten Aufarbeitung wird heute die Rolle des DRK im Dritten Reich realistischer betrachtet, ebenso die Präsidentschaft des Herzogs, der tatsächlich seit 1918 keiner mehr war. Zum Beispiel im 2021 erschienenen Dokumentarfilm Der Reichsarzt und der Prinz wird sein Handeln beleuchtet.

1949 — Gelber Kreis als Schutzzeichen

Vom 20. Juli 1949 datiert der Vorschlag Burmas (heute Myanmar), eine Sanitäts- und Sicherheitszone mit dem Roten Kreis (Sanitätszone) und dem Gelben Kreis (Sicherheitszone) zu kennzeichen.3 Er wurde verworfen, und stattdessen fand das unverbindliche Rote Schrägband Eingang in das IV. Genfer Abkommen.

Weitere Informationen

Drittes Reich

Gelber Kreis

Erläuterungen und Einzelnachweise

  1. Es gibt eine bemerkenswerte Verbindung von Walter Hewel (1904–1945) zum Roten Kreuz. Er heiratete 1944 in Salzburg die Rotkreuzschwester Blanda Elisabeth Ludwig (1921–2008). Nach seinem Suizid 1945 war sie verwitwet und heirate 1952 erneut, diesmal den Unternehmer Erich Benteler (1913–2010?), der die gleichnamige Unternehmensgruppe mitführte.
  2. Anton Schlögel, Persönliche Verbundenheit war das Hauptmotiv seiner Präsidentschaft. Herzog Carl Eduard und das Deutsche Rote Kreuz, in: Coburger Tageblatt, 2.–3. Februar 1985, Seite 16.
  3. Politisches Departement (Schweiz), The Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Bern 1949; Band 3; Seiten 167–168.